Montag, 22. Januar 2018

"Dickicht" nach Brecht am Maxim-Gorki-Theater

Ich habe die Tiere beobachtet. Die Liebe, Wärme aus Körpernähe, ist unsere einzige Gnade in der Finsternis! Aber die Vereinigung der Organe ist die einzige, sie überbrückt nicht die Entzweiung der Sprache. Dennoch vereinigen sie sich, Wesen zu erzeugen, die ihnen in ihrer trostlosen Vereinzelung beistehen möchten. Und die Generationen blicken sich kalt in die Augen.
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Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.

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Heute abend Sebastian Baumgartens "Dickicht" nach Brecht im Maxim-Gorki-Theater: in den ersten dreissig Minuten war ich beglückt und hellwach, über die folgenden anderthalb Stunden verging das. Die Grundkonstellation von stummfilmartigen Filmszenen, die live von sitzenden Spielern gesprochen werden und expressionistisch zitierten Spielszenen von den einheitlich in Schwarz gekleideten Spielern ist toll, macht den Kopf aufmerksam und erfreut die Augen, aber das Halbdunkel ermüdet über die Zeit. Das tückische an großen Einfällen ist oft, dass sie zum Zwangskorsett werden. Sie erzwingen Wiederholungen, können das Beabsichtigte, das was erzählt werden soll, unter ihrer Ästhetik-Walze erdrücken. Und dann ist da noch ein Phänomen, dem ich schon des öfteren, auch in eigenen Arbeiten begegnet bin, der Sprechton der Spieler gleicht sich an, ich nenne es den monotonen Heiner-Müller-Rufgestus, der sich gerade bei gut gearbeiteten Ensemble Stücken wie eine Infektion einschleichen kann. Jeder nimmt von jedem ab und dann klingen alle irgendwie gleich.
Manno sind die Spieler von unterschiedlicher Qualität! Ein S-Fehler hier, Krampfhände da, ein bisschen Genuschel, eine Kinski-Doublette und einiges, das großartig war.

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Es gibt Stücke, die erwischen einen wie Liebe, oft plötzlich, manchmal dauerhaft. Diese Verliebtheit sieht das wahre Stück, nicht das mit Fehlern, Längen, dramaturgischen Schwächen behaftete, das andere sehen mögen.
"Im Dickicht" ist einer meiner älteren Liebhaber. 1971 hat Ruth Berghaus die zweite, geordnete, gekürzte Fassung von 1927 "Im Dickicht der Städte" am BE inszeniert. Karg, genau, sezierend. Ich war gebannt. Las viele Jahre später die Urfassung, verstand nix und verfiel ihr doch. Ein Wust. Eine Wucht. Ein gigantomanischer Zwergriese. Zwischen 1920 und 24 geschrieben, was heißt der Dichter war jung. Ein Augsburger Bürgersohn liest Upton Sinclairs "Dschungel", der Roman wird auch die "Johanna der Schlachthöfe" füttern, er sieht die Welt um sich herum und sie gefällt ihm nicht, er kotzt Sprache. Manche Sätze sind wunderbar und machen keinen Sinn, es gibt sie, weil sie schön sind. Brecht ist hier noch nicht der Hegel/Marx geschulte Epiker späterer Jahre, Expressionismus und Boxkampf, Amerikasehnsüchte und Männerliebe dampfen aus ihm und natürlich großes Talent. 
Es ist eine Liebesgeschichte. Eine verzweifelte, eine tiefe.

Eine meiner geliebtesten Arbeiten und gleichzeitig größten Mißerfolge war eben dieses "Dickicht" in einem magischen Bühnenbild von Philip Stoelzl.

"In diesem Stück wird um bürgerliches Erbe mit teilweise unbürgerlichen Mitteln ein äußerster, wildester, zerreißender Kampf geführt. Es war die Wildheit, die mich an diesem Kampf interessierte, und da in diesen Jahren (nach 1920) der Sport, besonders der Boxsport mir Spaß bereitete, als eine der ›großen mythischen Vergnügungen der Riesenstädte von jenseits des großen Teiches‹, sollte in meinem neuen Stück ein ›Kampf an sich‹, ein Kampf ohne andere Ursache als den Spaß am Kampf, mit keinem anderen Ziel als der Festlegung des ›besseren Mannes‹ ausgefochten werden." b.b.
bb

2 Kommentare:

  1. Was ich an Deinen Vorstellungsberichten so sehr mag, und hier wieder: Es sind keine Kritiken von oben nach unten. Du beschreibst Deine Eindrücke, persönlich, sinnlich und klug, Deine Freuden, Deine Zweifel, und manchmal auch Deinen Ärger und Deine Traurigkeit. Schön sowas, und gut, richtig gut.

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  2. Eva-Maria Otte hat recht mit ihrer Beschreibung * Ist fast immer genau so *

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