Mittwoch, 21. Dezember 2016

Wirklicher Albtraum

Zwei wahre Begebenheiten. 

Gestern Abend war ich in der Kantstrasse beim Chinesen. Während ich vor der Tür eine Zigarette rauche, fahren drei Krankenwagen mit Blaulicht in Richtung Gedächtniskirche vorbei. Wird wohl ein Unfall gewesen sein. Fünf Minuten später hat ein mitessender Freund eine SMS von einer Freundin aus Beirut auf dem Telefon: "Ein LKW ist am Breitscheidplatz in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gerast." Eine andere Freundin aus Australien erkundigt sich via Facebook, ob es mir gut gehe. Wir sind erschrocken, essen weiter und hoffen, irrwitzigerweise, dass ein besoffener LKW-Fahrer auf dem Bremspedal ausgerutscht ist.
Später in der Nacht lausche ich gelähmt Reportern, die versuchen ihre Fragen so zu stellen, dass die erwünschten Antworten gegeben werden. Noch haben sie kein Glück.
Der falsche Pakistaner wird von einem aufmerksamen Augenzeugen verfolgt und verhaftet, ein unbescholtener polnischer Fernfahrer wurde getötet, 12 Menschen sind tot, viele mehr verletzt, noch mehr in Trauer. Seehofer dreht durch.

Nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin erhöht die CSU in der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik den Druck auf die CDU und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Das CSU-Präsidium unter Parteichef Horst Seehofer stellte das für Anfang Februar geplante Spitzentreffen mit der CDU in München unter Vorbehalt. Es müssten vorher entscheidende Fragen in der Zuwanderungs- und in der Sicherheitspolitik geklärt werden, sonst mache das Treffen keinen Sinn, hieß es in einer Telefonschalte des CSU-Präsidiums. 


Heute um 6 klingelt der Wecker, es geht nach Konstanz. Beim Rauchen auf dem Umsteigebahnhof in Offenburg beginnt ein erschöpfter und betrunkener dünner Mann ein Gespräch. Er ist Berliner, der seit 10 Jahren in Sankt Georgen wohnt und in dieser letzten Woche seinen Vater in Berlin zu Grabe getragen hat. Gestern war er auf dem Weihnachtsmarkt, seine Cousine hatte an einem Stand ewig gebraucht, die Krümel kandierter Nüsse aus ihren Zähnen zu pieksen. Er wurde ungeduldig. Sie gingen weiter, 30 Meter, sein Cousin drehte sich um und sagte: " Mensch, der kann ja gar nicht Auto fahr...." Originaltext des Mannes: "Der Stand war hin. Das hat geklatscht. Geklatscht. Die Körper sind durch die Luft geflogen. Heftig. Es hat geklatscht."
Mir wurde schlecht.

In der Regionalbahn nach Konstanz stieg dann in einem Kaff mitten im Schwarzwald ein Mann ein, dunkelhaarig und braunhäutig und er trug eine dicke Wattejacke. Und ich? Ich denke an umgeschnalltes Dynamit. 
Mir wurde wieder schlecht. 

Ich will so nicht denken, fühlen. Sonst gewinnen ja die Irren.

1 Kommentar:

  1. "Ich will so nicht denken. Fühlen. Sonst gewinnen ja die Irren."
    Genau. Und das sollen sie nicht. Und das werden sie auch nicht.

    Ich hab mich heute hingetraut, an die Ecke, über die ich normalerweise jeden Abend nach der Vorstellung fahre, und zu meiner Verblüffung hat mich meine Rationalität und meine Sachlichkeit verlassen und ich habe nur noch geheult, einfach so. Ließ das passieren, während ich vor dem Meer aus Kerzen stand und zu beten versuchte, und sah dann plötzlich eine Kamera auf mich gerichtet. Es sei, sagte der Kameramann sehr sanft und freundlich, public space und er dürfe filmen und das sei life und das sei schon gone, irgendwo auf CNN.
    So what.

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