Mittwoch, 27. April 2016

Alles rennet, rettet, flüchtet.

Heute im Radio ist mir das erste Mal aufgefallen, dass "wir" jetzt Geflüchtete anstatt Flüchtlinge sagen. Warum?

Als Kind begenete ich dem Wort Flucht zuerst durch Richard Kimble, dem Mann im Westfernsehen auf seiner nicht enden wollenden Flucht vor der Polizei, seinerseits einen fliehenden Einarmigen verfolgend. Meine Mutter war 1933 mit ihren Eltern aus Deutschland geflohen, 6 Länder in 6 Jahren. Sie sprach selten darüber. Emigrieren klingt so ganz anders als fliehen, irgendwie elegant, auch harmloser. Dann waren da Vertriebene, Deutsche, die in Schlesien gelebt hatten, Verwandte meiner Nenntante. Sie waren Kleinbauern, trauerten um ihre Felder und Häuser, die vertrauten Landschaften. Dann geflüsterte Gerüchte über Fluchtversuche aus der DDR in den Westen, die Spree durchschwimmend mit Pappschwänen auf dem Kopf. Rübermachen, abhauen. Den grauenerregenden Ernst dieser Geschehnisse begriff ich nicht sofort. Und als ich ihn verstand, wurde das Land in dem ich lebte mir vollends fremd.

Flucht, Zuflucht, Flüchtling, Fliehender, Geflüchteter, Asylant, Emigrant, Immigrant, Einwanderer, Vertriebener, Verjagter, 
flüchtig, verflucht   

 Berühmter Flüchtling: Volkspolizist Conrad Schumann 1961.
© Peter Leibing
 
Wiki sagt: Flucht ist eine Reaktion auf Gefahren, Bedrohungen oder als unzumutbar empfundene Situationen. Meist ist die Flucht ein plötzliches und eiliges, manchmal auch heimliches Verlassen eines Aufenthaltsortes oder Landes. Die eilige Bewegung weg von der Bedrohung ist oft ziellos und ungeordnet, eine Flucht kann aber auch das gezielte Aufsuchen eines Zufluchtsortes sein. Fluchtverhalten gehört zum natürlichen Verhaltensrepertoire von Tieren.

Was hat es also mit dem Wort Flüchtling auf sich? Beim Nachlesen habe ich gelernt, dass es keine weibliche Form hat, dass die Endsilbe "-ling" einen abwertenden Beigeschmack erzeugt, wie bei Schönling oder Hämpfling. Geflüchteter klingt auch aktiver. Trotzdem wäre ich eher für Verjagter oder, weiblich, Verjagte. Verjagt aus ihrer Heimat durch Krieg, Gewalt, Hass, Armut und Not, die eigentlichen Reiter der Apokalypse. 

Kritik am Begriff "Flüchtling"

Der Begriff „Flüchtling“ wird von einigen Initiativen kritisiert. Hinter der Versächlichung, die durch das Suffix „-ling“ entsteht, verschwinden persönliche Hintergründe von Personen, Bildungs- und Berufsgeschichten, persönliche Interessen und politische Meinungen. Daher ist es angebrachter, von „geflüchteten oder geflohenen Menschen“ zu sprechen.
Sächsischer Flüchtlingsrat

Hier endet das Gendern

Klingt das Wort „Flüchtling“ für sprachsensible Ohren abschätzig? Eine weibliche Form jedenfalls kann mit ihm nicht gebildet werden. Doch was gäbe es für Alternativen?
 

Wider den Begriff Flüchtling

 
Der Titel ist ein Zitat aus "Der Glocke" von F. Schiller

1 Kommentar:

  1. Was ist mit 'Säugling'? Muß das nicht auch besser heißen 'saugender Mensch'?
    Ich hatte mal in einem Gespräch versehentlich 'das Säugling' gesagt und wurde prompt korrigiert: das heißt 'der' Säugling. Und sie hatte natürlich recht.
    Bin gespannt, wann mein Blog geächtet wird, weil ich konsequent die Sprache spreche, die ich denke. Wobei ich für gewöhnlich mehr denke, als ich sprechen bzw. in Worten ausdrücken kann. Keine Sprachregelung kann das verhindern. Glücklicherweise!

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