Donnerstag, 7. Mai 2015

Genesis & Ödipus - Sebastião Salgado & Romeo Castellucci



Zweimal Kunst an diesem Tag. 
Einmal wurde in mir beim Gang durch die kühlen Räume der neuen C/O Galerie im Amerikahaus, ein Staunen über die Heiligkeit, das Verehrungswürdige, das Wunder der Welt geweckt, Ehrfurcht benennt es vielleicht am besten. 
Und später in der Schaubühne, ein Abend exerziert wie ein langes religiöses mystisches Ritual, der mich ein bisschen amüsiert und ziemlich erstaunt hinterließ. Erstaunt, weil das alte Märchen vom Kaiser der nackt ist, in meinem Kopf auftauchte, nur dass da kein Kind war, das am Ende "Aber er hat ja gar nichts an!" gerufen hat.


Afrika: Mursi Frauen im südwestlichen Äthiopien mit Lippentellern

 

So oft habe ich Geschichten photographiert, die die Degradierung des Planeten zeigen.
Ich hatte die Idee, dass ich die Fabriken die verschmutzen photographieren sollte, und all die Müllhalden sehen müsste. Aber, letztendlich, dachte ich, die einzige Art uns anzuspornen, uns Hoffnung zu geben, ist Bilder des unverdorbenen Planeten zu zeigen - die Unschuld zu sehen.

So many times I've photographed stories that show the degradation of the planet. I had one idea to go and photograph the factories that were polluting, and to see all the deposits of garbage. But, in the end, I thought the only way to give us an incentive, to bring hope, is to show the pictures of the pristine planet - to see the innocence.

Sebastião Salgado



Ödipus der Tyrann von Sophokles, übertragen von Friedrich Hölderlin.

Euch, Kinder, wenn ihr schon die Sinne hättet,
Möcht ich noch vieles mahnen. Jetzt gelobt mir,
Was immer leben muß, und daß ihr leichter
Wollt leben als der euch gezeugt, der Vater.

Die erste halbe Stunde schaue ich Karmeliterinnen bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu, 
zauberartige Umbauten, so dass ich fast dachte, einen Film zu sehen. Halbschatten,
glasklare Gesänge, keine Worte, voyeuristische Schnipsel. Bis auf einen kurzen Moment des Zweifels,
ob ich möglicherweise im falschen Saal gelandet sein könnte - Ödipus! - lasse ich mich 
in die Bilder fallen. Die Bühne öffnet sich, jetzt strahlendweiß, und die Nonnen beginnen
Ödipus zu spielen. Alle Figuren sind Frauen, außer Teresias, der ist eine männliche Nonne.
Tja, und da wurde es problematisch. Wenn nun Ödipus Schuld, seinen Vater zu töten
und mit seiner Mutter zu schlafen, nun zu unser aller Erbschuld gemacht wird, leben wir
in einer ganz und gar männlichen Welt. Und so sind denn auch die beiden einzigen 
Darsteller, die in die Heftigkeit, die Intensität gehen dürfen, Männer. Teresias, der auch
den stärksten Moment des Abends hat - er benennt den ungeheuren Tabubruch und er, die
Bühne, der Raum gerät ins Vibrieren, ins Zittern, ins Schwanken. Von jetzt ab ist ein Riss
in der Welt. Der zweite Mann ist der Regisseur selbst, der per Video in Großaufnahmen circa 20 Minuten zeigt, wie er nachdem er mit Tränengas besprüht wurde - geblendet - versucht sich 
das Zeug aus den Augen zu reiben, unterstützt von einem vorsorglich bereitgestellten 
DRK-Helfer. Er will, im Gegensatz zu Ödipus nicht erblinden und zeigt seinen Mut, solch ein
Experiment zu unternehmen. 20 Frauen, unter ihnen Angela Winkler, Jule Böwe, 
Rosabel Huguet & Ursina Lardi bereiten den Boden für dieses Video. Der katholische Mann,
der in Stärke & Qual erleidet und wohl deshalb von vielen Frauen gepflegt werden muß.
Der Kaiser ist nicht nur nackt, sondern auch katholisch.
Am Ende ist die Bühne leer bis auf drei überdimensionale pulsierende Furzkissen und die - furzen,
was sonst.
Eine Rentierkarawane des Volkes der Nenzen im nördlichen Sibirien



Alle Photos © Sebastião Salgado


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