Dienstag, 17. März 2015

Wir leiden uns ins Wissen.




Ich lese mich manchesmal unerwartet ins bloggen. Ein Essay über die Illias und ich falle urplötzlich in einen Satz. Den Zorn besinge, o Göttin, des Peleussohns Achilles. Die erste Zeile der Illias. Im Original ist "Zorn" sogar das erste Wort. Dass der Zorn eines Menschen Thema eines ganzen Buches sein kann, ist schon großartig, aber heute war es ein anderer Satz, der mich gewurmt hat. Nur in einem Nebensatz erwähnt und nicht einmal aus der Illias, sondern aus einem Stück von Aischylos.

Aischylos
Agamemnon 

Vers 176-183

Wir leiden uns ins Wissen.

Zeus, der den Menschen zum Denken geführt hat,
der bestimmt hat, dass Weisheit
nur durch Leiden kommt.
Dennoch, tropft im Schlaf 
Die Trauer der Erinnerung gegen das Herz; gegen
unsere Freude sind wir maßvoll.
Von den Göttern, die in Erhabenheit sitzen
kommt Gnade irgendwie grausam.

Zeus, who guided men to think,
who has laid it down that wisdom
comes alone through suffering.
Still there drips in sleep against the heart
grief of memory; against
our pleasure we are temperate
From the gods who sit in grandeur
grace comes somehow violent.
 
Übersetzt von Richmond Lattimore
 


Zeus hat die Sterblichen auf den Weg zur Weisheit gesetzt
als er dies Gesetz festlegte;
Durch Leiden lernen wir.
Doch tropft im Schlaf vor meinem Herzen
ein trauererinnernder Schmerz.
Gesunden Menschenverstand gewinnt man nur auf die harte Tour.
Und die Gnade der Götter
(Da bin ich mir ziemlich sicher)
Ist eine Gnade, die durch Gewalt kommt.


Zeus put mortals on the road to wisdom
when he laid down this law;

By suffering we learn.
Yet there drips in sleep before my heart
a griefremembering pain.
Good sense comes the hard way.
And the grace of the gods
(i'm pretty sure)
is a grace that comes by violence. 

Übersetzt von Anne Carson



Totenmaske des Agamemnon (mykenisch, 16. Jh. v. Chr.). Gold. 
Gefunden im Grab V des Gräberrunds A auf der Akropolis in Mykene (Peloponnes, Argolis). 
Athen, Archäologisches Nationalmuseum (Griechenland, Attika).

Ihn, der uns zum ernsten Nachsinnen leitet, uns in Leid
Lernen läßt zu seiner Zeit;
Drum weint auch im Traum im Herzen noch
Kummer leideingedenk, und es keimt
Wider Willen weiser Sinn.
Wohl heißt streng und schonungslos der ewgen hochgethronten Götter Gunst!


Übersetzt von J. G. Droysen (Berlin 1832)

Denn der Weisheit Führer ist 
Zeus des Urgesetzes Herr,
Dass im Unglück Lehre wohnt.
Wachsam stirbt Gewissenbissesangst

Selbst im Schlaf unser Herz; Zwang sogar
Leitet manchen zur Vernunft.
Solches leihn die Götter uns,
In Hoheit prangend auf dem stolzen Thron.


Übersetzt von J. Minckwitz

πάθει μάθος
Pathei mathos
Aischylos Agamemnon Vers 177

Wikis Liste griechischer Phrasen schlägt Folgendes vor:
Durch Leiden lernen. Der Ausspruch geht auf Aischylos' Agamemnon zurück, wo er vom Chor als Huldigung des Zeus gesungen wird. Die zugrundeliegende Textpassage wurde recht unterschiedlich ins Deutsche übersetzt, u. a. "Dass im Unglück Lehre wohnt" (Johannes Minckwitz), oder auch "uns in Leid Lernen läßt zu seiner Zeit" (Johann Gustav Droysen), wiewohl die Grundaussage stets als die gleiche aufzufassen ist: „Er (sc. Zeus) setzte dies: dass aus Leid wir lernen.“ (Max Treu, mündlich)

We suffer into knowledge, habe ich dann als englische Übersetzung gefunden. Das gefällt mir:
Wir leiden uns ins Wissen. Oder in die Erkenntnis.
 
http://www.suhrkamp.de/buecher/zorn_und_zeit-peter_sloterdijk_45990.html

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zorn-und-zeit-von-peter-sloterdijk-wenn-ganze-kulturen-sich-beleidigt-fuehlen-1380330.html


2 Kommentare:

  1. Es stimmt, Menschen lernen durch Leid und Schmerz. Sie lehren durch Leid und Schmerz. Sie belehren durch Leid und Schmerz.
    Ich finde das erstaunlich.
    Jeder, der schon einmal versucht hat einem Tier etwas beizubringen weiß, dass der schnellste Weg über Belohnung und liebevolle Zuwnedung geht.
    Vielleicht sollten Menschen das als erstes lernen.

    AntwortenLöschen
  2. Eine andere Freundin schrieb:

    wurmen -  innen beschäftigen, unangenehm, quälen, aber in Richtung ärgern, misslaunig sein...
    Mich hat das Verb in Deinem Textzusammenhang  verwundert.

    Hanna
    Wurmen ist schon, im Sinn den Du schreibst, gemeint.
    Durch Leiden lernen, wurmt mich. Was für ein christlicher Blödsinn, dachte ich immer, wenn meine Stationsschwester Schmerzmittel in zu kleinen Dosen austeilte und sagte "Leid macht stark!". Da wird die Sinnlosigkeit des Unglücks schöngeredet, dachte ich.
    Aber durch Leiden zum Wissen kommen, ist dasselbe und doch ganz anders.

    Verstehst ihr das?

    AntwortenLöschen