Donnerstag, 10. April 2014

April ist der grausamste Monat





"Diese Fragmente lasse ich meine Ruinen stützen."

 "These fragments I have shored against my ruins"

"Complimenti, du Hurensohn. Ich bin von allen sieben Eifersüchten geplagt."
  Das schrieb Ezra Pound, dem das "Wüste Land" gewidmet ist, und der als Lektor mehr als die Hälfte des ursprünglichen Textes gestrichen hat.
 
Aus: DEM WÜSTEN LAND

DAS BEGRÄBNIS DER TOTEN

April ist der grausamste Monat, treibt
Flieder aus der totem Land, mischt
Erinnerung mit Lust, rührt
Spröde Wurzeln mit Frühlingsregen.
Der Winter hat uns warm gehalten, hüllte
Erde in vergeßlichen Schnee, fütterte
Ein wenig Leben mit vertrockneten Knollen.
Der Sommer kam als Überraschung, über den Starnberger See
Mit Regenschauer; wir flüchteten unter die Kolonnaden,
Die Sonne kam wieder, wir gingen weiter zum Hofgarten
Und tranken Kaffee und redeten eine Stunde.

Bin gar keine Russin, stamm' aus Litauen, echt deutsch.
Und als wir Kinder waren, wohnten wir beim Erzherzog,
Der war mein Vetter, und der ist dann mit mir Schlitten gefahren,
Und ich hatte solche Angst. Marie, sagte er,
Marie, halt dich fest. Und runter gings.
Im Hochgebirge, da fühlt man sich frei.
Ich lese die halbe Nacht, im Winter muß ich nach Süden.
Was sind das für Wurzeln, die krallen, was für Äste wachsen
Aus diesem steinernen Schutt? Menschensohn,
Du ahnst es nicht und kannst nicht wissen, du siehst doch nur
Einen Haufen zerbrochener Bilder, wo die Sonne sticht
Und der tote Baum kein Obdach bietet, die Grille keine Hilfe
Und der trockene Stein kein Wassergeräusch. Nur
Dort ist Schatten unterm roten Fels,
(Komm in den Schatten unterm roten Fels),
Und ich werde dir etwas zeigen, das anders ist als
Der Schatten, der dir morgens nachläuft,
Und als der Schatten, der dich abends einholt; 
Frisch weht der Wind
Der Heimat zu:
Mein irisch Kind,
Wo weilest du?
›Vor einem Jahr, da brachtest du mir erstmals Hyazinthen;
Sie nannten mich das Hyazinthenmädchen.‹ –
Doch als wir wiederkamen aus dem Hyazinthengarten, es war schon spät, –
Du hattest die Hände voll, dein Haar war naß, da konnte ich nicht mehr
Sprechen, ich sah auch nichts mehr, ich fühlte mich weder
Tot noch lebendig, und alles war weg,
Als ich ins Herz des Lichts sah, die Stille.
Öd’ und leer das Meer.
Madame Sosostris, Top-Wahrsagerin,
War schwer erkältet, nichtsdestotrotz
Gilt sie als weiseste Frau Europas,
Dank eines verruchten Kartenspiels. Hier, sprach sie,
Ist Ihre Karte, der ertrunkene phönizische Seemann,
(Perlen sind, was seine Augen waren. Schau!)
Hier haben wir Belladonna, die Herrin der Felsen,
Die Herrin der Gelegenheiten.
Hier kommt der Mann mit den drei Stäben, und hier das Rad,
Und hier der Kaufmann mit dem einen Auge, und hier die Karte,
Wo nichts drauf ist, ist etwas, das er auf dem Rücken trägt,
Aber das läßt man mich nicht erkennen. Ich sehe nirgendwo
Den Gehenkten. Fürchten Sie den Tod durch Wasser.
Ich sehe Menschenmengen, die im Kreis einhergehn.
Danke schön. Falls Sie die gute Mrs. Equitone sehen,
Sagen Sie ihr, daß ich das Horoskop selbst vorbeibringe,
Man muß so vorsichtig sein heutzutage. 
....

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Verschiedene Kritiker haben mir die Ehre angetan, das Gedicht als Kritik an der Gegenwart zu interpretieren, und haben sogar eine gehörige Portion Gesellschaftskritik hineingelesen. Für mich war es nur das Ventil für einen privaten und ganz belanglosen Grant gegen das Leben; es ist lediglich ein Stück rhythmischer Quengelei.

T.S. Eliot im Vorwort Faksimile-Ausgabe, 1971

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From THE WASTE LAND
  
THE BURIAL OF THE DEATH
 
April is the cruelest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
Winter kept us warm, covering
Earth in forgetful snow, feeding
A little life with dried tubers.
Summer surprised us, coming over the Starnbergersee
With a shower of rain; we stopped in the colonnade,
And went on in sunlight, into the Hofgarten,
And drank coffee, and talked for an hour.
Bin gar keine Russin, stamm' aus Litauen, echt deutsch.
And when we were children, staying at the arch-duke's,
My cousin's, he took me out on a sled,
And I was frightened. He said, Marie,
Marie, hold on tight. And down we went.
In the mountains, there you feel free.
I read, much of the night, and go south in the winter.
What are the roots that clutch, what branches grow
Out of this stony rubbish? Son of man,
You cannot say, or guess, for you know only
A heap of broken images, where the sun beats,
And the dead tree gives no shelter, the cricket no relief,
And the dry stone no sound of water. Only
There is shadow under this red rock,
(Come in under the shadow of this red rock),
And I will show you something different from either
Your shadow at morning striding behind you
Or you shadow at evening rising to meet you;
I will show you fear in a handful of dust.
Frisch weht der Wind
Der Heimat zu
Mein Irisch Kind
Wo weilest du?
'You gave me hyacinths first a year ago;
'They called me the hyacinth girl.'
-Yet when we came back, late, from the hyacinth garden,
Your arms full, and your hair wet, I could not
Speak, and my eyes failed, I was neither
Living nor dead, and I knew nothing,
Looking into the heart of light, the silence.
Oed' und leer das Meer.
Madame Sosostris, famous clairvoyante,
Had a bad cold, nevertheless
Is known to be the wisest woman in Europe,
With a wicked pack of cards. Here, said she,
Is your card, the drowned Phoenician Sailor,
(Those are pearls that were his eyes. Look!)
Here is Belladonna, the Lady of the Rocks,
The lady of situations.
Here is the man with three staves, and here the Wheel,
And here is the one-eyed merchant, and this card,
Which is blank, is something he carries on his back,
Which I am forbidden to see. I do not find
The Hanged Man. Fear death by water.
I see crowds of people, walking round in a ring.
Thank you. If you see dear Mrs. Equitone,
Tell her I bring the horoscope myself:
One must be so careful these days.
...

http://www.lyrikheute.com/2013/01/the-waste-land-das-wuste-land-ein-top.html 

Wiki für Griechische Mythologie schreibt: Durch die Schönheit des Hyakinthos wurde die Aufmerksamkeit von Zephyros, dem Gott des Westwindes, erregt, ebenso fand jedoch auch Apollon Gefallen an dem Jüngling. Ein verhängnisvoller Unfall beim Diskuswerfen - Apollon traf Hyakinthos aus Versehen mit dem Diskus und tötete ihn so - beendete die Liebe frühzeitig. Aus dem Blut, das dabei vergossen wurde, ließ der trauernde Apollon eine Blume entstehen, deren Blütenblätter jeweils den Klageruf („AI“) bildeten.Alternativen dieses Mythos besagen, dass der Zwischenfall kein Unfall war: Zephyros lenkte demnach den Diskus in der Luft so ab, dass dieser den Hyakinthos traf und tötete.

 

2 Kommentare:

  1. "...ein Stück rhythmischer Quengelei".
    Quengelei, quengeln, herumquengeln - wie anders Wörter wirken, wenn sie nicht in den üblichen Zusammenhängen benutzt werden.
    Quengelei auf dem Theater. Was für ein gutes Wort für den Grund, sich aus einer Vorstellung davonzumachen.


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  2. Dann doch lieber Goethe, mit "Hoffnungsglück"!


    Osterspaziergang

    Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
    Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
    Im Tale grünet Hoffnungsglück;
    Der alte Winter, in seiner Schwäche,
    Zog sich in rauhe Berge zurück.

    Von dorther sendet er, fliehend, nur
    Ohnmächtige Schauer kornigen Eises
    In Streifen über die grünende Flur;
    Aber die Sonne duldet kein Weißes,

    Überall regt sich Bildung und Streben,
    Alles will sie mit Farben beleben;
    Doch an Blumen fehlt's im Revier
    Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

    Kehre dich um, von diesen Höhen
    Nach der Stadt zurückzusehen.
    Aus dem hohlen finstern Tor
    Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

    Jeder sonnt sich heute so gern.
    Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
    Denn sie sind selber auferstanden,
    Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

    Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
    Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
    Aus der Straßen quetschender Enge,
    Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
    Sind sie alle ans Licht gebracht.

    Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
    Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
    Wie der Fluß, in Breit und Länge
    So manchen lustigen Nachen bewegt,

    Und bis zum Sinken überladen
    Entfernt sich dieser letzte Kahn.
    Selbst von des Berges fernen Pfaden
    Blinken uns farbige Kleider an.

    Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
    Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
    Zufrieden jauchzet groß und klein:
    Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!

    Faust I, 2. Sz.
    Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832

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