Mittwoch, 30. April 2014

Der HAMLET der Deutschen Dichter


Ach, armer Yorrick!


© Barbara St.

HAMLET

In diesem Korpus, träg und aufgeschwemmt 
Sagt sich Vernuft als böse Krankheit an 
Denn wehrlos unter strahlgeschientem Clan 
Steht der tiefsinnige Parasit im Hemd. 

Bis sie ihn dann die Trommel hören lassen 
Die Fortinbras den tausend Narren rührt 
Die er zum Krieg um jenes Ländchen führt 
“Zu klein, um ihre Leichen ganz zu fassen.”
Erst jetzt gelingt’s dem Dicken, rot zu sehn.

Es wird im klar, er hat genug geschwankt. 
Nun heißt’s, zu (blutigen) Taten übergehn.
So daß man finster nickt, wenn man erfährt 
“Er hätte sich, wär er hinaufgelangt 
Unbefehlbar noch höchst königlich bewährt.”

Bertolt Brecht


HAMLET

Aus "Ein Glaubensbekenntnis", 1844

    Deutschland ist Hamlet! Ernst und stumm
In seinen Toren jede Nacht
Geht die begrabne Freiheit um,
Und winkt den Männern auf der Wacht.
Da steht die Hohe, blank bewehrt,
Und sagt dem Zaudrer, der noch zweifelt:
»Sei mir ein Rächer, zieh dein Schwert!
Man hat mir Gift ins Ohr geträufelt!«
Er horcht mit zitterndem Gebein,
Bis ihm die Wahrheit schrecklich tagt;
Von Stund' an will er Rächer sein –
Ob er es wirklich endlich wagt?
Er sinnt und träumt und weiß nicht Rat;
Kein Mittel, das die Brust ihm stähle!
Zu einer frischen, mut'gen Tat
Fehlt ihm die frische, mut'ge Seele!

Das macht, er hat zuviel gehockt;
Er lag und las zuviel im Bett.
Er wurde, weil das Blut ihm stockt',
Zu kurz von Atem und zu fett.
Er spann zuviel gelehrten Werg,
Sein bestes Tun ist eben Denken;
Er stak zu lang in Wittenberg,
Im Hörsaal oder in den Schenken.

Drum fehlt ihm die Entschlossenheit;
Kommt Zeit, kommt Rat – er stellt sich toll,
Hält Monologe lang und breit,
Und bringt in Verse seinen Groll;
Stutzt ihn zur Pantomime zu,
Und fällt's ihm einmal ein, zu fechten:
So muß Polonius-Kotzebue
Den Stich empfangen – statt des Rechten.

So trägt er träumerisch sein Weh,
Verhöhnt sich selber insgeheim,
Läßt sich verschicken über See,
Und kehrt mit Stichelreden heim;
Verschießt ein Arsenal von Spott,
Spricht von geflickten Lumpenkön'gen –
Doch eine Tat? Behüte Gott!
Nie hatt' er eine zu beschönigen!

Bis endlich er die Klinge packt,
Ernst zu erfüllen seinen Schwur;
Doch ach – das ist im letzten Akt,
Und streckt ihn selbst zu Boden nur!
Bei den Erschlagnen, die sein Haß
Preisgab der Schmach und dem Verderben,
Liegt er entseelt, und Fortinbras
Rückt klirrend ein, das Reich zu erben. –

Gottlob! noch sind wir nicht soweit! –
Vier Akte sahn wir spielen erst!
Hab acht, Held, daß die Ähnlichkeit
Nicht auch im fünften du bewährst!
Wir hoffen früh, wir hoffen spät:
Oh, raff dich auf, und komm zu Streiche,
Und hilf entschlossen, weil es geht,
Zu ihrem Recht der flehnden Leiche!

Mach den Moment zunutze dir!
Noch ist es Zeit – drein mit dem Schwert,
Eh' mit französischem Rapier
Dich schnöd vergiftet ein Laert!
Eh' rasselnd naht ein nordisch Heer,
Daß es für sich die Erbschaft nehme!
Oh, sieh dich vor – ich zweifle sehr,
Ob diesmal es aus Norweg käme!

Nur ein Entschluß! Auf steht die Bahn –
Tritt in die Schranken kühn und dreist!
Denk an den Schwur, den du getan,
Und räche deines Vaters Geist!
Wozu dies Grübeln für und für?
Doch – darf ich schelten, alter Träumer?
Bin ich ja selbst ein Stück von dir,
Du ew'ger Zauderer und Säumer!


Ferdinand Freiligrath
St. Goar, April 1844
  

HAMLET

Es geht ein Königssohn im kalten Norden,
Dem man des Lebens Urquell dort erschlug,
Den Thron besitzen, die den Vater morden,
Die Mutter teilt des Mörders Lust und Trug.

Es muß Hyperion dem Satyr weichen,
Der Lumpenkönig ist zu schaden klug.
In all den angestammten weiten Reichen
Kaum noch ein Ort, der zum Asyl genug.

Und Rosenkranz und Güldenstern, Gervinus –
Polonius wollt ich sagen, wie ich muß –
Sie spreiten aus ihr langgedehntes Minus,
Die Zunge, steilrecht, bildet es zum Plus.

Auch an Ophelien wird es nimmer fehlen,
Das Herz, zumal bei Weibern, hat nicht Rast,
Im Sturme, wie der Schiffe, so der Seelen,
Mehrt selbst die reichste Ladung nur die Last.

Da mahnt denn alle Welt zum Wirken, Handeln!
Allein der Hebel braucht doch Ort und Statt,
Der stärkste Sinn muß sich in Mißmut wandeln,
Fehlt erst der Raum zum Anlauf und zur Tat.

Franz Grillparzer

HAMLET

Wir haben all' in Wittenberg studirt,
Wie jener fette Prinz aus Dänemark,
Daß jeder jetzt gelehrt philosophirt
Mit tiefer Denkkraft über jeden Quark.

Wir haben viel erfahren und geseh'n,
Und rufen, wenn uns was erstaunt mit Fug:
"Schreibtafel her! da soll's geschrieben steh'n!"
Und meinen, mit dem Schreiben sei's genug.

Wenn Höll' und Himmel spornt zu Männerthat,
Kloppfechten wir mit markdurchhöhltem Witz,
Und wenn zerknirschend Schamgefühl uns naht,
Dann schimpfen wir uns selbst: "Du feiger Spitz!"

Doch schau! den besten Zungendreschermuth
Lähmt uns mit eins ein fremd ehrwürdig Bild,
"Dort kommt es!" stammeln wir mit eis'gem Blut,
Und die modernen Nerven fiebern wild.

Der hohen Vorzeit kriegrische Gestalt Mit Harnisch,
Helm und Schwert, sie steht und winkt.
Daß es, wie Thatendrang, uns schon durchwallt —
Da kräht der Hahn und die Gestalt versinkt.

Einst warf'st du wohl den Feind im Kampfe hin,
Jetzt bist du nur ein dräuendes Gespenst.
Du kennst noch nicht der Bildung Hochgewinn,
Da du nur blut'ge That als Losung nennst.

In Bildung schwimmen wir zum Ueberdruß,
Zum Selbstmord trieb' uns Uebersattigtheit,
Wenn's nicht bequemer wär', in Worterguß
Schwatzen von Selbstmord und Zerrissenheit.

               Friedrich von Sallet
  

Sonntag, 27. April 2014

Deutsche Bahn & deutscher Shakespeare


     Nach den Berechnungen ernsthafter Historiker soll William Shakespeare am 
     23. April 1564 geboren worden sein. Sie gehen davon aus, dass der 
     Tauftermin meist ungefähr drei Tage nach dem der Geburt lag, und
     zumindest dieser liegt uns beurkundet vor.


 Parish register of Holy Trinity Chuch, Stratford-upon-Avon
"Gulielmus filius Johannes Shakspere' - William son of John Shakepeare 

Am 26. April 1616, 52 Jahre nach seiner Taufe ist er gestorben. Cervantes 
     übrigens auch, wenn auch ganz woanders und so wurde der 23. April zum 
     Tag des Buches.

     Die Deutsche Shakespeare Gesellschaft wiederum wird in diesem Jahr 150 
     Jahre alt und hat ihrem Dichter in Weimar ein Geburtstags- und Todesfest 
     ausgerichtet. Die DSG ist eine der ältesten literarischen Vereinigungen 
     Europas und hat ungefähr 2000 Mitglieder, Theaterwissenschaftler, 
     Anglizisten, Literaturhistoriker, Dramaturgen, Lehrer, noch mehr Lehrer und 
     glühende Enthusiasten verschiedenster Professionen. Viele ungewöhnlich alt, aber 
     beileibe nicht alle.  
     Sie atmen, zitieren, verehren Shakespeare, kennen jedes Stück, jedes 
     Gedicht, jedes noch so fragwürdige Textfragment. Sie gehen morgens um 
     4.00 Uhr in den Park um "Venus und Adonis" zu rezitieren, legen in einem 
     jährlichen Ritual Blumen am Weimarer Shakespeare-Denkmal nieder, 
     lauschen Vorträgen über die Beziehung von Bob Dylan und Shakespeare
     und Shakespeare in Australien. Sie haben, ich übrigens auch, die 
     Shakespeare App auf ihren Smartphones, damit sie deutsche 
     Übersetzungen synchron überprüfen können, das tue ich nicht. Sie sind 
     wunderbar und ein bisschen beängstigend, denn wenn man mit ihnen ins 
     Gespräch kommt, stellt man fest, dass viele von ihnen fast übersehen, dass 
     der Kerl für das Theater geschrieben hat und nicht für die Forschung und 
     auch nicht für den hehren Lesegenuß.
     Er muß gesprochen, geflüstert, geschrien werden, geschwitzt und gelaufen. 
     Mit Bässen und Höhen und Zwischentönen und Zittern und Gewalt und 
     Scheu. Er ist Theater, nicht die Ansichten darüber.

     Der Übersetzer Frank Günther in einem Interview der Südwest Presse:
     Shakespeare ist nicht vorhanden, er verschwindet hinter seinen Figuren. Es 
     wirkt, als hätten diese Texte keinen Autor, als habe die Welt sich selber 
     abgeschrieben. Ob er an Gott geglaubt, ob er seine Frau geliebt hat? Ich 
     habe keine Ahnung. Aber das ist gut so, denn mich interessiert nicht der 
     Autor, sondern das Werk.    


  Shakespeare Denkmal in Weimar
Bildhauer: Otto Lessing

     Ach ja, ich darf die Deutsche Bahn nicht vergessen! Also: am letzten Freitag 
     um die Mittagszeit versuchten wir, mehrere Schauspieler, ein Souffleuse, 
     eine Assisstentin und ich, auf einer Probebühne in Heilbronn, die 
     unaufwendigste und wirkungsvollste Art zu finden, mit der wir den Herzog 
     von Gloucester, Figur im "König Lear", seines Augenlichtes berauben 
     könnten, eine der ernsthaften Diskussionen, wie es sie zu solchem Thema 
     nur am Theater und möglicherweise unter professionellen Folterern gibt. 
     Das Auge mit einer Zigarette ausbrennen? Wie würde das entsprechende 
     Geräusch klingen? Es mit einem Regenschirm ausstechen? Müßte danach
     ein Auge auf der Spitze stecken? Wir haben uns schlußendlich für einfaches 
     Augen-in-den-Schädel-Hineindrücken entschieden. Knapp, direkt und 
     unangenehm zu betrachten.
     Zwei Stunden später saß ich im Zug in Richtung Weimar mit dreimaligem 
     Umsteigen in Würzburg, Fulda und Erfurt, berechnet man Hin- und
     Rückfahrt also sechs Umstiege! Und? Spannungspause. Und - es hat 
     geklappt! Tusch! Jeder Anschluß wurde erreicht, die Schaffner waren 
     freundlich, der Kaffee im Bistro trinkbar und auf dem letzten Abschnitt der 
     Rückreise haben vier Kinder im Abteil geturnt und niemand hat gemeckert! 
     So in etwa muß es auch im Paradies sein, oder?

Ich bin nicht was ich bin. Shakespeare zum 450.




Portrait, um 1610, also zu Lebzeiten des Dichters, entstanden,
aber die Meinungen darüber, ob er es ist oder jemand ganz anderes,
gehen stark auseinander.

Photograph: Oli Scarff/Getty Images
Am 23. April 2014 wurde dieses Bild in Stratford upon Avon der Öffentlichkeit vorgestellt.


Ich bin nicht was ich bin. *


Ich bin mir sicher, dass ich in einer Kleinstadt an einem sanften Flüsschen gelegen in Warwickshire geboren wurde.

Mein Vater hat Handschuhe und feine Dinge aus weissem Leder gefertigt, eine Zeit lang war er Bürgermeister, dann bankrott, sein Vater wiederum war ein Bauer. Das steht in den Akten.

Doch manche Leute sagen, ich sei gar nicht ich. Francis Bacon, Christopher Marlowe, William Stanley, 6. Earl of Derby, Edward de Vere, 17. Earl of Oxford, sind nur eine kleine Auswahl derer, die ich sein sollen.

Ich bin nicht gebildet genug, um ich zu sein, habe keine Universität besucht, bin nur bis London gekommen, bin nie in die Welt gereist, bin nicht aus edlem Hause. Bin ich ich? Oder ein anderer? Ein anderer mit meinem Namen? Ich fang im Ernst an mir zu zweifeln an.**

Ich bin nur ein Schauspieler, über den ihr wenig wißt, außer dass ich eine Frau hatte, die älter war als ich und zwei Kinder, von denen eines sehr früh gestorben ist. Das hätte ich gern vergessen.

Ich habe geliebt und keiner weiß wen. Weiß ich es noch? Er war sehr schön, dessen erinnere ich mich. Und sie? Ja sie.

Ich oder der, der ich glaube zu sein, war gern, wer ich war.

Meistens. Oder?

Mache ich euch so unsicher, neidisch, fassungslos, dass ihr mir mein Ich nicht gönnen könnt? Und ich habe doch nur geschrieben, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Habe ich? Doch, doch.

Übrigens war das zweitbeste Bett das bequemere.


J.S.

* Jago, Othello 1.Akt 1. Szene

** Kleist Amphitryon 1.Akt 1. Szene

Oder sah er so aus?


© All rights reserved. "Sanders Portrait." Canadian Conservation
Institute, Department of Canadian Heritage, 2001. 
 

Donnerstag, 24. April 2014

Meerwind, in Vorahnung auf den Sommer




WIND VOM MEER




Andrew Wyeth 
1947



Lied vom Meer

Uraltes Wehn vom Meer,
Meerwind bei Nacht:
du kommst zu keinem her;
wenn einer wacht,
so muß er sehn, wie er
dich übersteht:
uraltes Wehn vom Meer,
welches weht
nur wie für Ur-Gestein,
lauter Raum
reißend von weit herein…
O wie fühlt dich ein
treibender Feigenbaum
oben im Mondschein.

Rainer Maria Rilke


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Das Gas Dimethylsulfid, das von Algen produziert wird, soll für den typischen Geruch an der Küste verantwortlich sein

Dimethylsulfid - in Wolken, im Meer und in Trüffeln

Und Meerwasser enthält Salz, also Natriumchlorid. Im aufgelösten Zustand
trennt sich das Natrium Kation vom Chlor Anion, diese Ionen sind im Wasser freibeweglich, 

sind aber an das Wasser gebunden. Wenn sich sich ein Chlor Ion
aus der Hydrathülle befreit, verwandelt es sich in ein Chlormolekül und wird
für uns riechbar. Wie unromantisch.

Wenn ich die See seh, brauch ich kein Meer mehr. 
(Titel einer Revue des Hamburger Theaterschiffes)


Dienstag, 22. April 2014

Böse, böse Stiefmutter


Vor vielen Jahren fuhren meine "Stieftochter" und ich aufs Land, sie saß auf dem Rücksitz und war etwa sieben Jahre alt. Wir waren sozusagen ganz frische Stiefverwandte.

Wiki: stief, mit der ursprünglichen Bedeutung: beraubt, verwaist

Wir schwatzten, dann schwiegen wir, und dann hörte ich sie leise singen. Ein langes Lied, ein schrecklich trauriges Lied über ein Mädchen, dass von seiner Stiefmutter gequält wird, beim Vater keine Hilfe findet und am Grab ihrer Mutter ihr schreckliches Leid beklagt. Das Lied hatte sehr viele Strophen und sie sang es ganz zart, ohne Nachdruck, fast monoton. Ich wusste, ich wurde getestet.
Wir haben nie darüber gesprochen und schon lange und noch heute, dreissig Jahre später ein sehr zugeneigtes Miteinander. Aber als ich sie heute anrief, um sie nach dem Lied zu fragen, wusste sie sofort welches gemeint war und konnte sich noch an Textfetzen erinnern. 
Die Mythen leben in uns fort! Eine schöne Erinnerung.(Ihre Mutter war und ist übrigens bei bester Gesundheit!)

Siehe auch: C.G. Jung Die psychologischen Aspekte des Mutter-Archetyps


Ein Kind von viereinhalb Jahr, 
Das auch schon ein Waisenkind war;
 Das Kind, es war so klug,
Nach seiner Mutter frug.

Ach liebster Vater mein,
Wo ist denn mein Mütterlein;
Ach liebster Vater mein, ja mein
Wo ist den mein Mütterlein

Dein Mütterlein ist tot,
Es liegt im Grabe und ruht;
Dein Mütterlein ist tot, ja tot
Es liegt im Grabe und ruht.
 
Da lief das Kind geschwind
Zum Grabe der Mutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum Grabe der Mutter hin

Da grub es sich ein Loch,
Ach liebste Mutter so sprich doch;
Da grub es sich ein Loch, ja Loch
Ach liebste Mutter so sprich doch

Das Sprechen fällt mir schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr;
Das Sprechen fällt mir schwer, ja schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr

Lauf heim mein Kind, lauf heim,
Eine andere Mutter ist dein;
Lauf heim mein Kind lauf heim, ja heim,
Eine andere Mutter ist dein

Da lief das Kind geschwind
Zum hause der Stiefmutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum hause der Stiefmutter hin

Die kämmt mir nun das Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;
Die kämmt mir nun das Haar, ja Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;

Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Schleifen dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Schleifen dazu.

Und wäscht sie mir die Händ,
So rubbelt sie bis es brennt;
Und wäscht sie mir die Händ, ja Händ
So rubbelt sie bis es brennt;

Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Seife dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Seife dazu

Und schmiert sie mir das Brot,
So wünscht sie mir den Tod;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Honig dazu.

Und bringt sie mich zur Ruh,
dann schlägt sie die Zimmertür zu;
Und bringt sie mich zur Ruh, ja Ruh
so schlägt sie die Zimmertür zu;

Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Küsse dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Küsse dazu

Am nächsten Morgenrot
Da war das Kind auch schon tot;
Am nächsten Morgenrot, ja Rot
Da war das Kind auch schon tot;

Am Abend weht der Wind
Übers Grab von Mutter und Kind
Am Abend weht der Wind, ja Wind
Übers Grab von Mutter und Kind




DANIEL RICHTER
OHNE TITEL







Das eigensinnige Kind

Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab versenkt und die Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen kam immer wieder heraus. Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.
Aus: Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Erster Band. Göttingen: Druck und Verlag der Dieterichischen Buchhandlung, 1837. S.291ff.


Das Kind

Schlage mich nicht,
liebe Mutter, Schlage mich nicht
ins Gesichte;
Dann aus meinen blauen
Augen
Sprühen, wenn du mich
so schlägest,
Tausend helle
Feuerfunken;
Und wie leichtlich fällt ein
Funke
Auf mein taftes
Flügelkleidgen!


In: Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 56. entstanden Mitte des 18. Jahrhunderts




Ohne Titel I,, III, II & IV 2007
Daniel Richter
EditionGrimm
Holzschnitt Und Radierung 
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Sonntag, 20. April 2014

Hosianna Ogtern


hosi

anna
maria
magdalena
hosi
hosianna
hosimaria
hosimagdalena
hosinas
hosiannanas
hosimarianas
hosimagdalenanas
ananas

Ernst Jandl

 

Osterhase: 
"Die Menschen lieben Mich nicht um meiner
selbst willen. Sie lieben nur das, was ich für sie tue."
Jesus:  
"Du sagst es."  

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Der Telegrafenbeamte



Der Telegrafenbeamte sitzt am Tisch und versucht, ein Kreuzworträtsel zu lösen. 
Links steht ein Telefon:

Also, vier senkrecht - Grautier - das hat vier Buchstaben und fängt mit einem E an, 
dann fehlt einer und dann geht's mit EL weiter. 
Ein Grautier mit EEL - EGEL - EGEL - EGEL? IGEL? IGEL?
- ah das ist eher ein I, ja, aber dann stimmt es ja aber
waagrecht nicht mehr. Die Hühner tun es - LEGEN - ja, dann
gibt es aber senkrecht genau gleichwohl wieder EGEL -
das ist doch kein Tier das - EGEL - das ist jetzt ein
dummes Kreuzworträtsel das.

Ja und dann sechs waagrecht hieße es ja dann OG, OG... OGTERN - OG... OG... OGTERN - was ist denn das wie­der? OGTERN »kirchlicher Feiertag« - hab ich noch nie gehört das.
Gibt es acht noch einen ändern Feiertag mit einem G drin? WEIH-NACH-TEN - nein, das hat keinen G - ... PFINGSTEN, PFINGSTEN, PFINGSTEN - PFING-NG-NG ... das könnte einen G haben - ja, dann wäre aber das O wieder falsch - woher kommt denn dieses O her? »Kirchliches Instrument« - ORGEL -ja, aber wenn es jetzt PFINGSTEN heißen würde, 
dann hieße es ja dann statt ORGEL »PRGL« - und beim kirchlichen Feiertag PG... PG... PGTERN - trr - trr - Ja, ja, ja PRGL - PGTERN - trrr ... trr ...

Ja, Telegrafenamt. Wie? Nein, wir haben hier nur eine Überlastung gehabt. 
PRGL - PG PG PGTERN - wie, was meinen Sie was? 
Nein, ich habe hier nur noch rasch ein indisches Telegramm durchgegeben. 
Also, immer zuerst gerade den Namen angeben - wie ist der Name? Keller - mit CK?
Ah, normal, ah das sagt man gleich am Anfang oder? -
Ja und nachher, was kommt nachher? »Bitte Ziegel an Bianco zum doppelten Tarif«. 
Ist in Ordnung, wir wollen das sofort notieren he: bitte Ziegel an Bianco - au -
jetzt ist mir noch der Spitz abgebrochen, ja das ist jetzt noch's Beste das. 
Hab' doch noch irgendwo ein zweites Bleistift gehabt. 
Ja, hören Sie, überlegen Sie sich das Ganze noch einmal, he, wie? Ah, das ist definitiv -
eh ja, das kann ich ja nicht wissen. Also, wohin gehen die Ziegel? »An Tegula AG in Lissabonn« - ist in Ordnung - Wir machen, daß das alles nach oben kommt. Ja,
auf Wiederhören... Ausgerechnet Lissabonn, Lissabonn, wo ist jetzt auch noch dieses Lissabonn? Es muß irgendwie ein Vorort sein von Bonn. - So jetzt muß ich hier 
ein Messerli holen, damit ich das Bleistift - trrr ... trrr ... wo ist jetzt das Messerli - 
ich habe doch da ein Messerli gehabt, ich habe doch da immer ein Messerli hier gehabt. Trrr ... Ja, ja. -Telegrafenamt - Herr, Herr Messerli? - Ja, Sie hab' ich soeben gesucht, Sie. Ja - was ist, was? Was? Ein Telegramm? Also geben Sie's an. »Herrn Zrotz, Berghaus Pragel« - PRGEL? - Nein, ich wollte nur rasch sehen, ob etwa am Pragelpaß eine Lawine hinuntergekommen ist. Ja, und nachher, was kommt nachher? »Fünfzig Jahre stark und froh, Herbert mach nur weiter so!« Ist in Ordnung, das werden wir alles so durchgeben. Auf Wiederhören Herr Messerli. So - jetzt müssen wir's aufschreiben, sonst nachher - trrr – trrr- Ja, jetzt kommt schon wieder eins - zuerst muß ich das doch aufschreiben - sonst nachher - Trrr ... trrr ... so, ja wahrscheinlich, ausgerechnet noch ein ... Ja, Telegrafenamt. - Herr Iseli? Was ist? Ein Telegramm? Wohin? Nach New York - bei diesem Wetter? Nein, ich mache nicht Spaß, aber ich kann's nicht selber bringen, he - also, geben Sie's an. »Herrn Hanspeter Iseli, Quarkey-Street, New York« In Ordnung, ja, was? Buchstabieren? Q wie Quark - A wie Angst - R wie Rückversicherungsgesellschaft - K wie Kakao - E wie Emil und am Schluß ein Ypsilon wie ein -Ypsilon. Und nachher, was kommt nachher? »Überraschung für Mami, bitte an Ostern heimkommen.« Ist in Ordnung, wir werden das gerne so dem Hanspeter berichten, ha. Eh, Moment, rasch, sind Sie sicher, daß er an Ostern heimkommen soll, nicht etwa an OGTERN?
Ja, ja der kommt sowieso nach Hause, he. Ja, auf Wiederhören, Herr - eh Herr ... Heißen Sie eigentlich Iseli oder ISEL? Ah, Iseli - sonst hätte ich noch fragen müssen, ob er ein Grautier sei. Trrr ... trrr ... ja wahrscheinlich, mehr kann ich nicht im Kopf behalten. Ja, ja Telegrafenamt. Herr Meier. Ja, hab' ich auch schon gehört. Ja, was ist was? Ein Telegramm? - Warum? Wie? Aha, aha Ihr Freund ist gestorben. Ah, sehr gut, sehr gut... »Rudolf soeben gestorben, bitte heimkommen, Dein Schwager«. Ist in Ordnung. Muß das ein Glückwunschtelegramm sein - so mit diesen Blümchen oben durch? Ah normal. Ja, der kann es auch so lesen. Ja, ja, das werden wir so durchgeben. Auf Wiederhören ... So jetzt, so jetzt, trrr ... trrrr ... das ist jetzt aber das letzte, das ich noch annehme. Ja, Telegrafenamt - Herr Dürrenmatt? - kenn ich nicht - ja halt! Bist Du etwa der von der letzten Reserveübung? Den wir in den Säulitrog geschmissen haben, he? Hehehe - Ja, ich notiere alles, ja. Wohin? »Schauspielhaus Zürich«. In Ordnung - ja und dann? »Ist die Meisel nächste Saison frei? Habe neues Stück auf Lager. Gruß Dürrenmatt.« 
Ist in Ordnung, jawohl, muß das auch ein Glückwunschtelegramm sein? Nein, sonst hatten wir dann aus diesem Text einen Vers daraus gemacht. Nein, nein, das hätten wir schon übernommen. Ja, es können ja schließlich nicht alle Leute dichten. Ja, ah, Sie wollen es lieber in Prosa - Ausgezeichnet, dann werden wir für Sie alles so durch-eh-brosamen, he. So, jetzt muß ich einmal alles notieren, sonst gibt es eine Katastrophe - au! - da wäre ja ein zweiter Bleistift gewesen. Natürlich am dümmsten Ort. So, was haben wir jetzt alles gehabt? - Ja, ich glaube, ich beginne am besten von hinten.
»Fünfzig Jahre stark und froh, Dürrenmatt mach weiter so«. »Ist die Meisel noch am Lager, sende Ziegel - Gruß Dein Schwager«. »An Regula in Lissabonn, bitte an Ostern zum doppelten Tarif«. Ja, es war noch etwas mit dem ... Aha ja, »Überraschung für Mami, bin soeben gestorben«. Ah, es war noch etwas, dort, das mit dem, das mit dem Quarkey, Quarkey - 
nimm ... ich Esel - ESEL? - vier senkrecht!
*
Aus: Meta Lepus: Der kleine Hasenbegleiter. Ein Osterbrevier. München Serie Piper

Emil Steigenberger

  
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beantwortung von sieben nicht gestellten fragen

nein
nein
nein
nein
nein
nein
nein