Samstag, 10. November 2012

Ödipus Stadt


Über meinen vorletzten Theaterbesuch mochte ich nicht schreiben, denn ich will es mir nicht zur Gewohnheit werden lassen, der gemeinen und gefährlich leichtfertigen Lust an bösen Verrissen nachzugeben. Und etwas Fröhliches wäre mir dazu nicht eingefallen, außer dass Herr Klammer wieder einmal eine Freude war. Einmeterachtzig Mann mit blonden Gretelzöpfen und rosa Minimalkleidchen als
narzistische Nazigattin und wenn die Zöpfe fallen, ist er auch noch der Gatte, und man möchte beide nicht zum Feind haben. 
Und trotz alledem, ich werde keinen Klammer-Fanclub gründen. Nein, werde ich nicht. Ich bin ja schon der Vorsitzende des Kleist-Fanclubs.

Nun gestern Abend im DT - Ödipus Stadt nach Sophokles & Euripides & Aischylos - Regie Stephan Kimmig. Bitte hingehen! Zweieinhalb Stunden ohne Pause und ich habe es erst danach beim Auf-Die-Uhr-Gucken bemerkt. Hingehen, bitte!

Sophokles (497/6 – 406/5 v. Chr.) war von den drei großen Tragikern der Mittlere, jünger als Aischylos (525/524 – circa 456/455 v. Chr.), aber älter als Euripides (480 – 406 v. Chr.). In etwa 120 Jahre griechischer Politik und Veränderung - wir nennen es die Hochzeit der antiken griechischen Tragödie. Hochzeit - HOCHzeit. Antik, was für ein mißverständliches Wort. Fünfziger Jahre Müll wird antik genannt, weiße Statuen, die einstmals bunt angemalt waren, auch. Das Wort antik (lat. antiquus: „alt“) bezieht sich auf: die Antike im Altertum und Antiquitäten (auch aus jüngeren Zeitepochen) sagt Wiki.

Hier, an diesem Abend, übersetzt sich Antike in wiedererkennbare, sich wiederholende und doch darum nicht weniger erschreckende Muster und wird also grausam wahrhaftig. 
Fühmann nannte den Mythos ein Modell, in dem der ganze Mensch mit seinen verschiedenen, widersprüchlichen Seiten anwesend ist. Das Märchen strebt nach Klarheit, nach der Auflösung des unlösbaren Konflikts, der Mythos gibt ihn wieder.
Eine Freundin beschrieb es mit:  "Du kannst der Macht einfach nicht entkommen."
Was ist es, dass uns machtlos macht, der Verlockung von Macht zu wiederstehen? Macht Macht uns zu anderen Menschen? 
Immer wenn ich Herrn Grönemeyer "Kinder an die Macht" singen höre, überkommt mich ein leichter Schauder. Gib einem Fünfjährigen Macht und sage ihm dann, dass er Mittagsschlaf machen muß oder nicht noch drei Kugeln Eis bekommt, du wirst schon sehen, was passiert! 
Das Gefühl der Machtlosigkeit macht uns alle, aber sicher die Mächtigen umso mehr, unberechenbar. Und da das Leben unweigerlich zum Tod führt, entkommen wir dem Bewußtsein der Machtlosigkeit nicht, so sehr wir uns bemühen, alle Unwägbarkeiten aus dem Weg zu räumen. Wie soll Gerechtigkeit sein, da der Tod doch kein Recht kennt? Auch nicht das Recht des Machtvolleren.

Ödipus, der Sohn des Laios, König von Theben tötet, in Unkenntnis der Verwandtschaft, den Vater, heiratet die Mutter, die beiden haben vier gemeinsame Kinder: Eteokles, Polineikes, Antione, Ismene. 
Sein Onkel, der Bruder seiner Mutter/Ehefrau heißt Kreon, dessen Söhne wiederum Menoikeus und Haimon. Noch den Seher Teiresias dazu und einige Boten und Hirten, und wir haben die Personage des Abends zusammen. 
Überlebende: Kreon und die Boten und Hirten.

Eine tolle Fassung von John van Duffel - kristallklar, konzentriert und Raum gebend für Poesie und Spiel. Hier wird miteinander gespielt! Schauspieler tun, was sie nicht oft tun dürfen, sie nehmen einander wahr und wollen sich mir mitteilen. Ich weiß, das klingt lapidar, aber ich habe als Zuschauer oft das Gefühl, dass meine Anwesenheit von nur geringem Interesse für die Agierenden auf der Bühne ist. Was dann umgekehrt proportional auch mein Interesse am Geschehen erlahmen läßt.

Eine fast leere luftige Bühne mit einer mittigen, riesigen Halfpipe aus hellem Holz, die nach hinten steil hochgebogen ist, was es den Spielern ermöglicht  immer wieder verzweifelt und erfolglos der Erde entfliehen zu wollen, den Himmel zu stürmen, um auf dem Hintern zu landen. 

Und es ist auch ein Ohrenschmaus. Große Sprache intelligent und verstanden gesprochen. Das gibt es noch, und ist auch kein Kunstgewerbe, sondern Kunst.

P.S.: Ein alter jüdischer Witz, jeder der eine jüdische/polnische/russische oder anderweitig gluckige Mutter hat, wird ihn verstehen:
Psychiater: " Ich muß Ihnen sagen, dass ihr Sohn einen Ödipus Komplex hat."
Mutter: "Ödipus Schmödipus! Das macht doch nichts, solange er seine Mutter liebt."
 

"I have to tell you, that your son is suffering from an Oedipus complex." "Oedipus, Schmoedipus! What does it matter, so long as he loves his mother?"

1 Kommentar:

  1. Macht Macht uns zu anderen Menschen?

    Ja. Davon bin ich überzeugt. Vielleicht ist sie wie eine Droge. Je mehr davon desto bewußtseinsverändernd. Manche können schon ein wenig davon nicht ab, andere vertragen mehr... ab einem individuell kritisch Grad aber bildet sie die Perspektive eines Menschen um, das glaube ich sicher. Und sie macht süchtig. Hat man sie gehabt will man sie nicht wieder hergeben. Und je nach Intensität der Droge und Abhängigkeit von ihr wächst die Bereitschaft in Kauf zu nehmen anderen zu schaden um die Droge weiter zu konsumieren.

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