Dienstag, 22. Mai 2012

Frau eine Treppe herabsteigend


Heute Abend habe ich ein Tablett mit den Resten eines Abendessens eine Treppe heruntergetragen. 
Keine schwere Aufgabe, bis zu der Sekunde, in der ich anfing darüber nachzudenken, wieviele Einzelprobleme mein Hirn gerade dabei war, zu behandeln: Tragen des Tabletts und die dafür nötige Balance, Breite des Tabletts und das Vermeiden von Kollisionen meiner Ellenbogen mit der seitlichen Wand, Höhe der Stufen und die dementsprechende Bewegung der Beine, Verlagerung des gesamten Körpergewichts plus Tablett nach unten und vorne, würdevolles Aussehen der treppeherabsteigenden Person, da hinter mir noch jemand die Treppe herunterkam. Unglaublich viele Einzelinformationen, die ich, dass heißt mein Gehirn aufnehmen, in kürzester Zeit einschätzen, auswerten und in praktische Lösungen umwandeln mußte. 
Mein Gehirn ist ein Genie. Ich kann eine Treppe runtergehen und ein Tablett tragen und über den Eindruck, den ich bei anderen hinterlasse, nachdenken, und das alles gleichzeitig! Gesprochen habe ich derweil auch noch!

Frau eine Treppe herabsteigend, Eadward Muybridge 1887

 Nackte eine Treppe herabsteigend No. 2, Marcel Duchamp, 1912
© 2000 Artists Rights Society New York / ADAGP, Paris, Estate of Marcel Duchamp.

Die Wortbildung Treppenwitz ist im Deutschen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt. Sie leitete sich vom gleichbedeutenden französischen l’esprit de l’escalier ab, einer Prägung Denis Diderots aus dem 18. Jahrhundert. Gemeint war – im ursprünglichen Sinne von Witz – ein geistreicher Gedanke, der jemandem einen Moment zu spät („beim Hinausgehen auf der Treppe“) einfällt und der in der aktuellen Runde oder Diskussion nicht mehr vorgebracht werden kann.

 Duchamp Descending a Staircase
© Eliot Elisofon, 1952

Auf hohem Fuß leb ich, verbatim -
Vier Treppen hoch - mit Mann und Kind,
Wo wir zuweilen außer Atem,
Doch niemals ohne Himmel sind.

Mascha Kaleko "Minetta Street"

Ema / Akt auf einer Treppe, 1966 und Frau die Treppe herabgehend, 1965 
© Gerhard Richter 

Treppauf, treppab...


Helmut Newton Le corps robot descending stairs, Monte Carlo, 1995
© Helmut Newton 

1 Kommentar:

  1. Treppe runter geht ja noch. Da sind Zweckmäßigkeit und Ansehnlichkeit ganz gut koordinierbar.

    Aber hoch. Berufsverkehr mit Umsteigen von U-Bahn zur S-Bahn: Nachdem Menschen älter sind als dreizehn, können sie Treppen nicht mehr gut hochgehen. Wenige rennen noch zweistufig. Die meisten knicken den Oberkörper nach vorn ab, schieben den Hintern breit heraus nach hinten, denen entgegen, die nach ihnen nach oben wollen. Sie heben die Beine kaum, sie stoßen die Füße flach schlurrend.

    Ganz schwierig, aber sehr wirkungsvoll: langsam rückwärts aufrecht die Treppe hochgehen, ohne ein Geländer zu berühren.

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