Sonntag, 22. Januar 2012

Gundula Schulze Eldowy

Gestern eine Ausstellung in der C/O Berlin in der Oranienburger, die nun wohl doch in dem Gebäude bleiben darf. Im Erdgeschoß eine Sammlung der Bilder, Schnappschüsse eines berühmt, berüchtigten Papparazzo - Ron Galella. Der Mann sah früher aus wie die rechte Hand eines kleineren Mafiabosses und hat das Papparazzitum praktisch erfunden. Heute, wo nahezu jeder eine Kamera im Telefon hat, papparazzit halt auch fast jeder, wenn er die Gelegenheit findet. Merkwürdig an den Bildern ist, wie gestellt viele von ihnen wirken. Wahrscheinlich gründet sich das in der unausgesprochenen Abmachung zwischen manchen Berühmtheiten und dem Photographen, die Pose wird sekundenschnell eingenommen und dann "geschossen". Beiden Seiten ist gedient.

Im Obergeschoß, Photographien von Gundula Schulze-Eldowy, einer Dresdnerin die 1972 nach Ost-Berlin kam, dort und anschließend noch in Leipzig studierte und den Teil der ostdeutschen Realität photographierte, der nie in offiziellen Veröffentlichungen erschien. Diane Arbus der DDR nennen sie einige. Ich weiß nicht, ob ich dem zustimmen kann. Ihre Arbeiten wirken auf mich zorniger, aber auch kälter, distanzierter.
 Berlin 1980

Identische Zwillinge, Roselle, New Jersey, 1967 © Diane Arbus

Bis 1990 entstanden die Schwarz-Weiß-Zyklen Berlin in einer Hundenacht, Arbeit, Aktporträts, Tamerlan, Straßenbild, Der Wind füllt sich mit Wasser und die beiden Farbzyklen Der große und der kleine Schritt und Die letzten beißen die Hunde.
Der wunderbare Photograph Robert Frank, den sie 1985 kennengelernt hatte, förderte ihre Arbeit. Nach dem Fall der Mauer reiste sie viel und lebt heute in Peru und Berlin.

Der Führer, Berlin 1987
Parade des Berliner Wachregimentes, ich glaube das war immer Mittwoch nachmittags.

Fast blinde Briefträgerin

  

Berlin 1987

Dresden 1986

Ohne Titel, Polen 1980

 Andreas, der Rußkönig, Bad Blanckenburg 1985, die Maske eines todtraurigen Clowns

Röntgen/Baby 1990

Der letzte Raum der Ausstellung ist der Serie "Tamerlan" gewidmet und ist schwer zu verkraften. Nahe der Tür das vergilbte Photo ener wunderschönen Frau mit dunklem Haar und schweren Brauen über, man könnte sagen, Glutaugen. Ihr Mann nannte sie Tamerlan, nach dem Text eines alten Schlagers.
G. Schulze trifft diese Frau, nun schon sehr alt, die erschöpft auf einer Parkbank sitzt und wird sie über einen Zeitraum von 8 Jahren immer wieder photographieren. Während dieser Jahre verliert die Frau erst die Zehen und dann, jetzt im Heim lebend, Stück für Stück ihre Beine. Das vorletzte Photo, schon einbeinig, nackt, stolz, das Echo von wundervoller Schönheit im Gesicht. 
Aber ich stelle mir auch Fragen, in einem der ebenfalls ausgehängte Briefe Tamerlans, beklagt sie sich, dass sie schon so lang nichts von der "Ersatztochter" gehört habe und beschreibt, welche Sehnsucht sie nach Entenbraten hätte. Ob G. Schulze ihr den wohl gebracht hat?
Klingt vielleicht dumm, aber die Intimität der Bilder, sagt alles über das Vertrauen von Tamerlan zur Photographin, und nichts über deren Verhältnis zu Tamerlan. Mir ist schon klar, dass ein Künstler kein Sozialarbeiter ist, aber, tja aber was?

Alle Photos, bis auf die Identischen Zwillinge © Gundula Schulze Eldowy

3 Kommentare:

  1. Aber, tja... aber vielleicht hat auch ein künstlerisch Arbeitender eine Verantwortung gegenüber dem Menschen, zu dem er eine Beziehung aufbaut, die dann den anderen dazu bewegt, mehr von sich preiszugeben, als er es ohne diese Beziehung getan hätte.

    Anders beim Erkennen von Augenblicken, die ohnehin ganz genau so und öffentlich geschehen.
    Der Mann, der jahrelang, jeden Mittwoch den Großen Wachaufzug begleitet hat. Offensichtlich ein Kranker, der in spastisch verkrampften heftig zappelnden Bewegungen mit dem Militär zur Neuen Wache marschierte, und nach der Großen Wachablösung neben der Paradetruppe wieder zur Kaserene am Bodemuseum zog. Ein grotesker Vorgang, der im Widerspruch zum polierten Militarismus der DDR stand. Ich verstehe bis heute nicht, warum der Mann nicht versteckt oder gehindert wurde.

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  2. Mich hat diese Ausstellung tief beeindruckt. Ich finde die Bilder oder die Sicht nicht kalt. Sie sind sehr direkt. Und ohne Absicht. Ohne Wertung. Die entsteht im Zusammenhang. Ich hatte das Gefühl selbst durch die Linse zu sehen, ohne Komposition oder etwas, das mir gesagt werden soll. Einfach, das das da ist. Was ich sehe. Wahr. Oder da war. Bei vielen habe ich zweimal geguckt, wann sie entstanden sind.
    Tamerlan. Der Entenbraten. Hm. Verantwortung. Da ist eine Beziehung aufgebaut worden. Über Jahre. Wem steht es da zu, zu beurteilen, ob und wie die Beziehung geführt wird? Vorausgesetzt es gibt ein Einverständnis mit der Veröffentlichung. Das weiß ich nicht. Ich hatte nicht den Eindruck, daß das nur kalt zweckorientiert war, um das Bild dann zu haben. Dann hätte es mich abgestoßen. Es war gerade die Nähe schwer zu verkraften.

    Die Frage der Verantwortung stellt sich in anderen Zusammenhängen ja auch immer wieder, wenn ein Mensch in einer Situation fotografiert wird, die todbringend ist und man sich fragt, warum es das Bild gibt und nicht die Rettung. Die Antwort fällt mir leichter.

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  3. Ich meine Kälte auch nicht als einen Grund zur Kritik, Kälte ist für manche Kunst nötig. Und berührt wurde ich, tief. Um nicht zu sagen verstört. Es ist halt der Entenbraten, der mir im Kopf feststeckte, auch weil ich bei Schwerkranken erlebt habe, wie sehr sie sich nach einer bestimmten Speise sehnen können und wie gut es ihnen tut, sie zu bekommen.

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