Freitag, 18. November 2011

Grammatik der Sprachen von Babel - Jürgen Buchmann


Ein Mann, mit dem äußerst passenden Namen Buchmann, hat ein Buch geschrieben, mit dem nicht sehr kurzen Titel: Grammatik der Sprachen von Babel - Aufgezeichnet nach den Gesprächen des Messer Marco Polo, Edelmanns aus Venedig, von der Hand des Maestro Rustichello da Pisa, der auch Rusticiano genannt wird, im Gefängnis zu Genua. Das Buch ist dünn, gerade mal 50 Druckseiten.  
Marco Polo im Tartarenkostüm, Jan van Grevenbroek

1298, Venedig führt wieder einmal Krieg mit Genua, Marco Polo, ehemaliger Weltreisender und nunmehr venezianischer Flottenkommandant, wird nach der Seeschlacht von Corzula gefangengenommen und von den siegreichen Genuesen für ein Jahr ins Gefängnis gesteckt. Dort trifft er auf den Dichter Rustichello da Pisa, und diktiert ihm, auf dessen Drängen hin, seine Reiseerinnerungen. In einem kleinen Anhang ergeht er sich über die Sprachen, denen er auf seinen Reisen begegnet ist und schlägt "Eine Rhetorik des Schweigens" als Titel für diesen Teil vor, da, wie er sagt: "Wer Ohren hat zu hören, der höre, aber ...wie hört Euer Hören sich an?" Dieser Vorschlag erscheint Rustichello zu befremdlich und er entscheidet sich für den oben erwähnten Titel. Dieser "Anhang" enthält nun 33 Kurzbeschreibungen fremdartiger Sprachen, "aber die Überschriften der einzelnen Kapitel, die Hinweise zum Verbreitungsgebiet der betreffenden Sprachen enthielten, sind durch Beschädigung des Oberrandes der Handschrift verlorengegangen."

XI

In dieser Sprache sind alle Tempora bis auf das Futur ausgestorben; man kennt dort nur künftige Ereignisse, künftige Entschlüsse und künftiges Glück. Manchmal sitzen sie zusammen wie ängstliche Kinder und schweigen, denn es geschehen sonderbare und unheimliche Dinge. Endlich beginnt einer zaghaft zu reden. Alles wird sich zum Guten wenden; schon morgen kann alles anders sein. Sie umarmen sich, lächeln sich an und vertrauen auf den Kalender.

XXV

Der Gelehrte Mukhtar Ibn Ahmad erzählte mir einst unter Lachen, im Arabischen besitze jedes Wort viererlei Bedeutung: Es bezeichne erstlich eine Sache, alsdann ihr Gegenteil, fernerhin etwas, das mit Kamelen zu tun habe, und endlich eine Obszönität. In letzterer Hinsicht geht die Sprache dieses Volks noch weiter. Von den Modi des Verbums kennt sie einzig den Konjunktiv, der das Verlangen bezeichnet: Kein Satz, der nicht ein Zeugnis ihrer Begehrlichkeit wäre; noch die Greise verbringen den Tag mit lüsternen Reden. Die Grammatiker des Landes beklagen die Frivolität ihrer Sprache; einer, heißt es, der sich um ihretwillen entmannte, habe zu spät gefunden, dass er auch damit ihr nicht zu entrinnen vermochte.

Der Turmbau zu Babel, der Meister von Bedford, französischer Buchmaler um1423

1. Mose - Kapitel 11

Luther:
ES hatte aber alle Welt einerley zungen vnd sprache. 2 Da sie nu zogen gen Morgen / funden sie ein eben Land / im lande Sinear / vnd woneten daselbs. 3 Vnd sprachen vnternander / Wolauff / lasst vns Ziegel streichen vnd brennen / Vnd namen ziegel zu stein / vnd thon zu kalck / 4 vnd sprachen / Wolauff / Lasst vns eine Stad vnd Thurn bawen / des spitze bis an den Himel reiche / das wir vns einen namen machen / Denn wir werden vieleicht zerstrewet in alle Lender. 5 DA fur der HERR ernider / das er sehe die Stad vnd Thurn / die die Menschenkinder baweten. Vnd der HERR sprach / Sihe / Es ist einerley Volck vnd einerley Sprach vnter jnen allen / vnd haben das angefangen zu thun / sie werden nicht ablassen von allem das sie furgenomen haben zu thun. 7 Wolauff / lasst vns ernider faren / vnd jre Sprache da selbs verwirren / das keiner des andern sprache verneme. 8 Also zerstrewet sie der HERR von dannen in alle Lender / das sie musten auffhören die Stad zu bawen / 9 Da her heisst jr name BabelAuff Deudsch / Ein vermischung oder verwirrung. / das der HERR daselbs verwirret hatte aller Lender sprache / vnd sie zerstrewet von dannen in alle Lender.

Luther 1912:
Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen! denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! Also zerstreute sie der HERR von dort alle Länder, daß sie mußten aufhören die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, daß der HERR daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut von dort in alle Länder.

Revidierte Elberfelder Bibel:
Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle, und dies ist [erst] der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts unmoeglich sein, was sie zu tun ersinnen. Wohlan, lasst uns herabfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass sie einer des anderen Sprache nicht [mehr] verstehen! 

1 Kommentar:

  1. zu Kapitel XI
    Eine verstörende Vorstellung. Was für ein Verlust, wenn Erinnerung nicht sprachlich reflektiert werden kann. Traurig und auch gefährlich. Nur heitere Zuversicht? Ist das nicht ein mögliches Kriterium von Schwachsinn?

    zu Kapitel XXV
    Die Dialektik von Sache und Gegenteil klingt hinreißend schlau. Die praktische Kommunikation stell ich mir aber verdammt schwierig vor.

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