Sonntag, 29. Mai 2011

Kinderreime - für Kinder nicht geeignet?


Alle Kinder stehen vor dem brennenden Haus, außer Klaus, der schaut raus. 

Ist doch verblüffend, wie brutal und "herzlos" viele Kinderreime, -lieder sind. Und ich meine nicht die erzieherischen Gewaltphantasien à la "Struwelpeter", in denen Herr Doktor Hoffmann seinem Kinderhass freien Lauf  lässt, oder seine Kinderängste unreflektiert blühen und wuchern lässt, sondern sowas wie "Fuchs du hast die Gans gestohlen" oder "Ein Hund kam in die Küche". Kaputtmachen macht Spaß, tot sein kommt vor,  jemandem weh tun ist Alltag. Das folgende Lied hat mir meine Stieftochter mal als "Testlied" vorgesungen, als wir uns gerade kennenlernten. Ihre Mutter war, Gott sei Dank nicht tot, aber vom Vater geschieden. Das Kind, sieben, saß auf dem Rücksitz im Auto, ich fuhr und sie sang ganz leise unendlich viele Strophen scheinbar nur so vor sich hin. 

Ein Kind von viereinhalb Jahr,
Das auch schon ein Waisenkind war;
Ein Kind von viereinhalb Jahr, ja Jahr,
Das auch schon ein Waisenkind war

Ach liebster Vater mein,
Wo ist denn mein Mütterlein;
Ach liebster Vater mein, ja mein
Wo ist den mein Mütterlein

Dein Mütterlein ist tot,
Es liegt im Grabe und ruht;
Dein Mütterlein ist tot, ja tot
Es liegt im Grabe und ruht

Da lief das Kind geschwind
Zum Grabe der Mutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum Grabe der Mutter hin

Da grub es sich ein Loch,
Ach liebste Mutter so sprich doch;
Da grub es sich ein Loch, ja Loch
Ach liebste Mutter so sprich doch

Das Sprechen fällt mir schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr;
Das Sprechen fällt mir schwer, ja schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr

Lauf heim mein Kind, lauf heim,
Eine andere Mutter ist dein;
Lauf heim mein Kind lauf heim, ja heim,
Eine andere Mutter ist dein

Da lief das Kind geschwind
Zum hause der Stiefmutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum hause der Stiefmutter hin

Die kämmt mir nun das Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;
Die kämmt mir nun das Haar, ja Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Schleifen dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Schleifen dazu.

Und wäscht sie mir die Händ,
So rubbelt sie bis es brennt;
Und wäscht sie mir die Händ, ja Händ
So rubbelt sie bis es brennt;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Seife dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Seife dazu

Und schmiert sie mir das Brot,
So wünscht sie mir den Tod;
Und schmiert sie mir das Brot,
So wünscht sie mir den Tod;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Honig dazu.
Und bringt sie mich zur Ruh,
dann schlägt sie die Zimmertür zu;
Und bringt sie mich zur Ruh, ja Ruh
so schlägt sie die Zimmertür zu;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Küsse dazu.

Am nächsten Morgenrot
Da war das Kind auch schon tot;
Am nächsten Morgenrot, ja Rot
Da war das Kind auch schon tot;

Am Abend weht der Wind
Übers Grab von Mutter und Kind
Am Abend weht der Wind, ja Wind
Übers Grab von Mutter und Kind. 

Da verhalte Dich mal, als frisch gebackene Stiefmutter!

Piep piep piep,
wir haben uns alle lieb,
jeder esse was er kann,
nur nicht seinen Nebenman,
und wir nehmens ganz genau,
auch nicht seine Nebenfrau,
nix verkleckert, nix verschütt,
GUTEN APPETIT!

Der Bauer schickt' den Jockel aus

Der Bauer schickt' den Jockel aus,
Er sollt' den Hafer schneiden.
Der Jockel, der wollt' den Hafer nicht schneiden,
Wollt' lieber zu Hause bleiben. 

Der Bauer schickt' den Knecht hinaus,
Er sollt' den Jockel holen.
Der Knecht, der wollt' den Jockel nicht holen,
Der Jockel, der wollt' den Hafer nicht schneiden.

Der Bauer schickt' den Hund hinaus,
Er sollt' den Knechte beißen.
Der Hund, der wollt' den Knecht nicht beißen,
Der Knecht, der wollt' den Jockel nicht holen,
Der Jockel, der wollt' den Hafer nicht schneiden.

Der Bauer schickt' den Knippel 'naus,
Er sollte den Hund schlagen.
Der Knippel, der wollt' den Hund nicht schlagen,
Der Hund, der wollt' den Knecht nicht beißen …

Der Bauer schickt' das Feuer 'naus,
Es sollt' den Knippel brennen.
Das Feuer, das wollt' den Knippel nicht brennen,
Der Knippel, der wollt' den Hund nicht schlagen …

Der Bauer schickt' das Wasser 'naus,
Es sollt' das Feuer löschen.
Das Wasser, das wollt' das Feuer nicht löschen,
Das Feuer, das wollt' den Knippel nicht brennen ...

Der Bauer schickt' den Ochsen 'naus,
Er sollt' das Wasser saufen.
Der Ochs, der wollt' das Wasser nicht saufen,
Das Wasser, das wollt' das Feuer nicht löschen …

Der Bauer schickt' den Fleischer 'naus,
Er sollt' den Ochsen schlachten,
Der Fleischer, der wollt' den Ochsen nicht schlachten,
Der Ochse, der wollt' das Wasser nicht saufen …

Der Bauer schickt' den Geier 'naus,
Er sollt' den Fleischer holen.
Der Geier, der wollt' den Fleischer nicht holen,
Der Fleischer, der wollt' den Ochsen nicht schlachten …

Der Bauer schickt' die Hexe 'naus,
Sie sollt' den Geier bannen.
Die Hexe, die wollt' den Geier nicht bannen,
Der Geier, der wollt' den Fleischer nicht holen ...

Der Bauer schickt' den Henker 'naus,
Er sollt' die Hexe verbrennen.
Der Henker, der wollt' die Hexe nicht verbrennen,
Die Hexe, die wollt' den Geier nicht bannen...

Der Bauer schickt' den Vater 'naus,
Er soll den Henker töten.
Eh' ich mich will töten lassen, will ich die Hexe verbrennen.
Eh' ich mich will verbrennen lassen, will ich den Geier bannen.
Eh' ich mich will bannen lassen, will ich den Fleischer holen.
Eh' ich mich will schlachten lassen, will ich den Ochsen schlachten.
Eh' ich mich will schlachten lassen, will ich das Wasser saufen.
Eh' ich mich will saufen lassen, will ich das Feuer löschen.
Eh' ich mich will löschen lassen, will ich den Knippel brennen.
Eh' ich mich will brennen lassen, will ich den Hund schlagen.
Eh' ich mich will schlagen lassen, will ich den Knecht beißen.
Eh' ich mich will beißen lassen, will ich den Jockel holen.
Eh' ich mich will holen lassen, will ich den Hafer schneiden.
Kleiner Schelm bist du, weißt du, was ich tu,
ich steck dich in den Hafersack und bind´ihn oben zu.
Und wenn du dann noch schreist” Ach, mach doch bitte auf!” (Ach, lass mich doch heraus!)
Dann bind ich ihn noch fester zu und setz mich oben drauf
Tralalalala, tralalalala, 

Zehn kleine Negerlein,
Die fuhren übern Rhein;
Das eine ist in’s Wasser gefall’n,
Da waren’s nur noch neun.
Ein klein, zwei klein, drei klein,
Vier klein, fünf klein Negerlein,
Sechs klein, sieb’n klein, acht klein,
Neun klein, zehn klein Negerlein.
Neun kleine Negerlein,
Die gingen auf die Jagd,
Das eine wurde totgeschossen,
Da waren’s nur noch acht
Ein klein zwei klein..
Acht kleine Negerlein,
Die gingen in die Rüb’n,
Das eine hat sich totgegessen,
Da waren’s nur noch sieb’n.
Ein klein…
Sieben kleine Negerlein,
Die gingen zu ‘ner Hex’,
Das eine hat sie totgehext,
Da waren’s nur noch sechs.
Ein klein…
Sechs kleine Negerlein,
Gerieten in die Sümf,
Das eine ist d’rin stecken geblieb’n,
Da waren’s nur noch fünf.
Ein klein…
Fünf kleine Negerlein,
Die gingen mal zum Bier,
Das eine hat sich totgetrunken,
Da waren’s nur noch vier.
Ein klein…
Vier kleine Negerlein,
Die aßen heißen Brei,
Das eine hat zuviel gegessen,
Da waren’s nur noch drei.
Ein klein……
Drei kleine Negerlein,
Die fuhr’n in die Türkei,
Den einen traf der Sonnenstich,
Da waren’s nur noch zwei.
Ein klein….
Zwei kleine Negerlein,
Die fingen an zu weinen,
Der eine hat sich totgeweint,
Da gab es nur noch einen.
Ein klein….
Ein kleines Negerlein,
Das fuhr mal in der Kutsch,
Da ist es unten durchgerutscht,
Da war’n sie alle
FUTSCH!!

Ick sitze hier und esse Klops,
Uff eenmal kloppt's.
Ick kieke, staune, wundre mir,
Uff eenmal jeht se uff, die Tür.
Nanu, denk ick, ick denk: nanu,
Jetzt isse uff, erst war se zu.
Ick jehe raus und blicke,
Und wer steht draußen? - Icke!

Ernest Bornemann: Unsere Kinder im Spiegel ihrer Lieder, Reime, Verse und Rätsel.  Freiburg 1973 (Studien zur Befreiung des Kindes, Bd. 1) 

Der deutsche Schriftsteller, Anthropologe, Psychoanalytiker und Sexualforscher Ernst Wilhelm Julius Bornemann wurde 1915 in Berlin geboren, er starb 1995. Er hatte in den frühen 1930er Jahren Kontakt zu Wilhelm Reich. Nachdem er 1933 nach England emigriert war, anglisierte er seinen Namen zu Ernest Borneman (Art. „Ernst Wilhelm Julius Bornemann“, in: Wikipedia). Borneman sammelte seit den sechziger Jahren in 36 deutschen Städten ca. 5000 Kinderlieder und -reime. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf oral tradierte Kinderverse und -lieder.

Allerleirauh. Viele schöne Kinderreime. Versammelt von Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1961. 384 Seiten.
Das große Buch der Kinderreime: Die schönsten Kinderreime aus alter und uralter Zeit aufgesammelt sowie etliche ganz neu dazuerfunden und bunt illustriert von Janosch. Verlag Beltz.
Peter Rühmkorf: Über das Volksvermögen. Exkurse in der literarischen Untergrund. Reinbek 1967 

Alle Kinder machen Sex im Bett, nur nicht Daniel, der machts mitm Spaniel. 


6 Kommentare:

  1. Wiegenlieder als Drohung:

    Schlaf, Kindchen, schlafe,
    im Stall, da stehn zwei Schafe,
    ein schwarzes und ein weißes,
    und wenn mein Kind nicht schlafen will,
    dann kommt das schwarze und beißt es.

    Schlaf, Püppchen schlaf,
    da draußen gehn die Schaf,
    die schwarzen und die weißen,
    die wolln mein Püppchen beißen,
    die braunen und die gehlen,
    die wolln mein Püppchen stehlen,
    schlaf Püppchen , schlaf.

    Zum Artigwerden:

    Kleiner Schelm bist du,
    weißt du, was ich tu,
    ich steck dich in den Hafersack
    und bind ihn oben zu,
    und wenn du dann laut schreist,
    ach, mach doch bitte auf,
    dann bind ich ihn noch fester zu,
    und setz mich oben drauf.

    Quelle: der eigene Kinderkopf

    Angstmachen als Mittel der Zurichtung für die Bedürfnisse derer, die Macht haben. Im Kinderbett ging (geht) das los. Stillsein und Parieren.

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  2. Ötti schrieb:
    Hexe Hexe Kaukau, ausgestopfter Wauwau.

    Hexe Hexe ging in Laden, wollt fürn Dreier Kasemaden,
    Käsemaden gab es nicht, Hexe Hexe ärgert sich,
    ärgert sich die ganze Nacht, hat vor Schreck ins Bett gemacht.

    Harmlos, aber die Machtfigur wurde verkleinert.

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  3. Alexander Höchst29. Mai 2011 um 20:39

    Reimen bis der Fährmann kommt

    Wie sprech ich's aus
    Was ich so fürchte
    Mir ist's ein Graus
    So wie Stiefmutters Bürste.

    Sie  brachte das Kind um die Ecke
    Vergânglich ist leider die Haut
    Zu  jung das Ding, die Zecke
    Jungbrunnen, wer hat dich geklaut.

    Das Reden fällt schwer
    Ich will  nichts wissen
    Das ist alles 'ne Mär
    Wie es ist unterm Erdenkissen.

    Ein, zwei böse Reime für Kinder
    Helfen mir über den Berg
    Ich bin des Schreckens Erfinder
    Der Tod ist nur ein Zwerg.

    Kommet, oh Kinderlein kommet
    Ich dicht euch mit Lust und Furcht
    im Grunde bin ich ganz frommet
    Lasst mich nicht allzu schnell durch.

    Ein paar Jahre mir wünscht ich
    Kann ich noch züngeln für euch
    Denn große Panik erfasst mich
    Soll ich dahin gehn vor euch.

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  4. ich glaube kaum das ein siebenjähriges kind so einen langen und nicht gerade leichten text singen kann. ich bin fast 35 und meine mutter die fast 80 ist hat mir als kind dieses lied auch immer vorgesungen und ich kann es bis heute nicht komplett auswendig.

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  5. Ein mops in 2 schlagen mit Löffel?
    Das sollen Kinder lernen?
    Wow

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  6. Ich denke, es kommt immer auf den "Abstraktionsgrad" der Gewaltdarstellung an, ob sie von Kindern in als solche wahrgenommen und als akzeptabel empfunden wird. Den "kleinen Schelm" mussten wir im Kindergarten auch spielen und ich empfand es als vierjähriges Kind schlimm um demütigend so "behandelt" zu werden, auch wenn es nur im Spiel war. Nur weil Gewaltandrohungen und Verrohung in früheren Zeiten üblich waren, heisst das nicht, dass es kindgerecht ist.

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