Donnerstag, 28. April 2011

Theater hat auch Effekte

Ein Mann sitzt auf einem Stuhl, die Schminke, die ihn als Neger kennzeichnet, ist nurmehr nur ein schwitziger Rest, er hält den letzten Monolog des Abends.

Gemach! – Nur noch zwei Worte, eh' Ihr geht!
Ich tat Venedig manchen Dienst, man weiß es:
Nichts mehr davon! – In Euren Briefen, bitt' ich,
Wenn Ihr von diesem Unheil Kunde gebt,
Sprecht von mir, wie ich bin – verkleinert nichts,
Noch setzt in Bosheit zu: Dann müßt Ihr melden
Von einem, der nicht klug, doch zu sehr liebte;
Nicht leicht argwöhnte, doch, einmal erregt,
Unendlich raste: von einem, dessen Hand,
Dem niedern Juden gleich, die Perle wegwarf,
Mehr wert als all sein Volk; des überwundnes Auge,
Sonst nicht gewöhnt zu schmelzen, sich ergeußt
In Tränen, wie Arabiens Bäume taun
Von heilungskräft'gem Balsam – schreibt das alles;
Und fügt hinzu: daß in Aleppo, wo
Ein gift'ger Türk' in hohem Turban einst
'nen Venetianer schlug und schalt den Staat, –
Ich den beschnittnen Hund am Hals ergriff
Und traf ihn – so!  
Hier macht der Spieler mit leichter, fast nachlässiger Geste eine Querbewegung über die Kehle und  stirbt indem sein Kopf weich nach unten fällt. Er hatte sich, Penthesilea gleich, zu Tode geredet, das übliche "er ersticht sich" ist nicht mehr nötig, die Geste Gewalt genug, man hätte ein Nadel fallen hören können. Black. Ein Effekt. (Othello in Wien mit Gert Voss.)

Eine Bühne: Videosequenzen aus Eisenstein Filmen und historischen Dokumentationen, ein Geräuschteppich von elektronischen Musikschnipseln und digitalisierten Alltagslauten, eine  riesige Bühnenmaschinerie bewegt sich von motorbetriebener Hand, irgendwo im Nebel Spieler, die möglicherweise wichtige Dinge verhandeln. Das Stück ist "Die Flucht" von Michail Bulgakow, der Ort Stuttgart. 500 Schwaben sitzen im Saal, die russische Revolution ist ihnen nicht nahe, der Abend schlägt auf sie ein mit eisener Hand. Effekte.

Das ist ein schwieriges Abwägen mit Effekten. Wo beginnt das hoffnungslose Hinterherhetzen, immer auf den Fersen der sich irrsinnig schnell entwickelnden technischen Möglichkeiten? Wo trifft moderne Techik auf archaisches Theater und es entsteht etwas Neues, etwas unerwartetes, erleuchtendes Neues?
Ein Beispiel: Robert Lepage inszeniert einen Teil seiner "Blue Dragon" Trilogie, eine der Figuren, eine junge Chinesin in Honkong, verdient sich ihren Lebensunterhalt mit dem Kopieren von europäischen Meistern der Moderne. Ein Raum, viele Bilderrahmen, die sich erst im Lauf der Szene alle mit ein und demselben van Gogh Portrait füllen werden. Das ist intelligent und es erzählt und die technische Perfektion ist verblüffend. Es hat Witz. Es ist theatralisch.

Maschinenzüge, Handzüge, Versenkungen, Auftritte von der Oberbühne, Pyrotechnik (Die man allerdings fast nicht mehr einsetzen kann, weil das katastrophenbeschwörende Sicherheitsdenken in Mitteleuropa zu solch blödsinnigen Auflagen geführt hat, dass man es besser gleich seien lässt.) Auch wenn ich also die alten hölzernen Windmaschinen, zerdepperten Donnerbleche, erbsengefüllten Regensiebe, mit Sand gefüllten Bambusrohre für Wellenrauschen inniglich liebe, Theatermittel, die in dieser oder ähnlicher Form, schon in Ephesos eingesetzt wurden und auch anderem gut eingesetztem Theaterzauber mit geradezu infantiler Freude begene, finde ich gar nicht, dass Elektronik, Video oder zum Beispiel die tollen neuen Scheinwerfer, mit Zoom und Farbwechslern und computergesteuerter Beweglichkeit nicht eine enorme Bereicherung unserer Möglichkeiten seien können. 
Aber merkwürdigerweise, macht die Menge der Effekte, die Hohlheit des Zentrums sichtbarer. Wenn da also nichts oder wenig gedacht, gewollt, beabsichtigt wird, scheint es, als schrien alle technischen Hilfsmittel ganz laut: "Der Kaiser ist nackt!" Wenn es halt Tünche bleibt, Ornament, Ausweichen vor den Schwierigkeiten der szenischen Kommunikation, Ersatz für Haltungen, wenn keine Reibung entsteht, dann sehne ich mich nach einer leeren, staubigen, halbwegs hellen Bühne mit Spielern, die sich das Herz aus dem Leibe spielen.

Eadweard Muybridge: Animal Locomotion Plate 99 1887


2 Kommentare:

  1. Alexander Höchst30. April 2011 um 10:48

    Guten Geschichten auf die Bühne bringen, dafür ist fast jedes Mittel recht. Wenn der Effekt zum Selbstzweck wird, ist meine Geschichte nichts wert. Ähnlich einem B-Horrorfilm, der nur Wirkung erzielen will aber keinen Gedanken verfolgt. Das Ganze wird hohl und billig. Eine gute Geschichte findet seine Mittel(Effekte) und setzt sich durch, wie Talent sich durchsetzt. Wir müssten fragen, gibt es keine Geschichten mehr oder können und wollen wir keine mehr erzählen. Oder ist unsere Zeit so kompliziert und wirr, dass die einfachen Geschichten nicht ausreichen...? Die Parabel oder das Lehrstück genügen nicht mehr...? Oder ist die Sucht, dass Theater immer wieder neu zu erfinden so übermächtig, dass 'einfache' Wahrheiten dem Erfolg im Wege stehen würden? Oder wurde die Suche danach zunehmend zur Sucht, nichts befriedigt mehr...?
    Ich bin davon überzeugt, dass die gute Geschichte eine große Kraft hat und wie ein Pilz immer wieder das Bühnenlicht finden wird. Ihr Rhizom verbreitet sich unter uns. Wir müssen nur die Bedingungen schaffen, sie zum Blühen bringen und sie erzählen...

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  2. Hört! Hört! Könnte man hier unterschreiben, würde ich es tun. Es ist auch dieser missbrauchte Begriff: "post-dramatisch", der wie eine Waffe geschwenkt wird und in den falschen Händen zu grosser Zerstörung führen kann.

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