Sonntag, 30. Januar 2011

Stanley Kubrick - Zweiter Teil


2001 (1968) Ich muss gestehen, eigentlich mag ich den Film nicht sehr. Sicher der Anfang mit 'Also Sprach Zarathustra' unter der Affenhorden Szene ist phantastisch, aber eine ganze Strecke lang finde ich ihn ziemlich angestrengt bösartig und dann wieder bedeutungsschwanger, bis dann am Ende so eine fremdartige Kühle entsteht, da wird es wieder schön. Auch das es im Weltraum still ist, habe ich gemocht. Und den "Soundtrack" von Ligeti. 
Der Computer heist übrigens HAL, weil...? IBM und jeweils ein Buchstabe drunter im Alphabet! Arthur C. Clarke hat die Vorlage geliefert und auch am Drehbuch mitgeschrieben - "Childhoods End" ist ein anderer interessanter Roman von ihm. 
Als Kubrick nach der Bedeutung von 2001 gefragt wurde, hat er geantwortet: "They are the areas I prefer not to discuss, because they are highly subjective and will differ from viewer to viewer. In this sense, the film becomes anything the viewer sees in it. If the film stirs the emotions and penetrates the subconscious  of the viewer, if it stimulates, however inchoately, his mythological and religious yearnings and impulses, then it has succeeded."
"Es gibt Bereiche die ich lieber nicht diskutieren möchte, weil sie hochsubjektiv sind und sich von Zuschauer zu Zuschauer unterscheiden werden. In diesem Sinn wird der Film alles, was der Zuschauer in ihm sehen will. Wenn der Film Gefühle anrührt und in das Unterbewusstsein des Zuschauers eindringt, wenn er, wenn auch unvollkommen, seine mythologischen und religiösen Sehnsüchte und Impulse stimuliert, dann hist der Film gelungen." 
Und man darf sicher behaupten, dass dieser Film einen enormen Einfluss auf die nächste Generation Filmemacher gehabt hat. Und trotzdem, eigentlich mag ich ihn nicht. 

Merkwürdig, wie wenig gute Science-Fiction Geschichten im Augenblick veröffentlicht werden. Unglaubliche Mengen Phantasy, meist Herr der Ringe oder Lord Dunsany oder H.P. Lovecraft Ableger und viel Kriegerisches, wo nur die Namen der Waffen noch futuristisch klingen, aber ganz selten Visionäres. Asimov, Clarke, Robert Heinlein, Frank Herbert, die frühen Star Trek Episoden von Gene Roddenberry, Bladerunner und und und. Es ist als ob wir so von der Gegenwart überwältigt werden, dass wir keinen Raum für Zukunftsträume haben. Ende der Utopien = Ende des Science Fiction? Stimmt natürlich nicht ganz, Alastair Reynolds und Peter F. Hamilton schreiben ganz erstaunliche Welten. Und die Engländer , bzw. die BBC produzieren immerhin Doctor Who und Torchwood. Aber wenn jemand einen tollen Tip hat, her damit! Ich merke gerade, dass ich bei Sci-Fi sehr amerikanisch geprägt bin. Lem, Strugatzki sind doch nicht zu unterschlagen.



Morgen: Clockwork Orange, Barry Lyndon und The Shining.


Samstag, 29. Januar 2011

29. 1. 1964 Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben wird in den USA uraufgeführt.


Stanley Kubrick 1928 - 1999

Fear and Desire1953
Der Tiger von New York  oder The Killer's Kiss 1955
Die Rechnung ging nicht auf oder The Killing 1956

Wege Zum Ruhm oder Paths of Glory 1957, einen schwarz-weiss Film mit Kirk Douglas habe ich gesehen, kurz nachdem ich nun gerade auch noch "Im Westen nichts Neues" gelesen hatte.

The boast of heraldry, the pomp of power,
And all that beauty, all that wealth e'er gave,
Awaits alike th' inevitable hour:-
The paths of glory lead but to the grave.

Der Wappen Prahlerei, der Pomp der Macht,
Was je der Reichtum und was Schönheit gab,
Sinkt unerlöslich hin in eine Nacht:
Der Pfad der Ehre führet nur ins Grab.

(Thomas Gray aus Elegy Written in a Country Churchyard)

Ein toller Film, sehr sparsam gespielt, sehr genau und sehr traurig. Eigentlich kein Schwarz-Weiss, sondern ein Grau-Film.
Wenn man, wie ich Kubrick mit "Clockwork Orange" kennengelernt hat, ist man verblüfft, wie sehr er mit dem Genre auch die Bildsprache und selbst den Spielstil der Darsteller wechselt. Er hat nicht einfach eine "Handschrift, einen Begriff, den ich im Zusammenhang mit Theater und Film mit grossem Misstrauen betrachte, sondern er sucht und findet die stilistischen Mittel, die der Geschichte die größtmögliche Schubkraft ermöglichen. Und wenn man am Beginn des Filmes vermutet, man sei in einen der üblichen Kriegsfilme geraten, wahrscheinlich einen älteren (wegen dem Schwarz-Weiss) und dann erlebt, wie Kubrick den Krieg an einem Einzelfall seziert, ihn all seiner Großartigkeit entledigt und doch die Geschichte eines heldenhaften Verhaltens erzählt, dann hat er einen an der Kehle und läßt nicht los bis zum Schluss.
In Frankreich sah man in dem Film, der auf der französischen Seite des 1. Weltkrieges spielt, einen Angriff auf die Ehre des französischen Militärs, weshalb der Film dort bis 1975 nicht gezeigt wurde. Der Film war nie offiziell verboten; allerdings hatte kein Verleiher je versucht, ihn durch die Zensur zu bringen.


Kirk Douglas hat dann Stanley Kubrick dazu überredet die Regie von  Spartakus 1960 zu übernehmen, 
nachdem der ursprüngliche Regisseur kurz nach Drehbeginn gefeuert worden war. Das Ergebnis war immens erfolgreich (4 Oscars, einen Golden Globe etc.), führte aber auch zu Kubrick's Entscheidung, nie wieder einen Film zu drehen, bei dem er nicht die völlige Kontrolle über den gesamten Herstellungsprozess in seinen Händen hielt.
Aufsehen erregte auch die Wahl des Drehbuchautors. Kirk Douglas verpflichtete Dalton Trumbo, der in den 1950er Jahren während der McCarthy-Ära als einer der Holywood Ten auf der Schwarzen Liste des HUAC (House Committee on Un-American Activities) stand.
Kubrick zieht nach England und dreht Lolita in enger Zusammenarbeit mit dem Roman- und Drehbuchschreiber Wladimir Nabokov , wieder in Schwarz-Weiss und doch stilistisch ganz eigen.

In der Rolle des Mr. Quilty: Peter Sellers, schon hier in einigen Verkleidungen.

Kubrick bietet Sellers vier Rollen in seinem nächsten Film, Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben 1964 (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb und wiederum die Frage nach den Absichten deutscher Titel, der Titel ist eh lang, warum dann nicht vollständig? ) Sellers akzeptiert drei der vier Rollen. Tja, was gibt es zu diesem Film zu sagen, außer das jedermann, der ihn noch nicht oder nur ein-oder zweimal gesehen hat, sich bitte möglichst schnell in Richtung der nächstliegenden Videothek begeben möge, um ihn zu entleihen und anzusehen und dann können wir weiter reden. Die Pink Panther Filme sind wunderbar, aber was Sellers hier bietet ist Genie in Freiheit.



Es gibt übrigens, habe ich mal gelesen, das psychologische Phänomen des "anarchistischen Beines oder Arms", wobei das jeweilige Körperteil sich, ohne oder gegen den Willen des Körperbesitzers verhält.
Zweiter Teil folgt morgen.

Freitag, 28. Januar 2011

Paolo Ucello - Der Heilige Georg tötet den Drachen

Paolo Ucello 1397 - 1475 Florenz
http://www.worldlingo.com/ma/enwiki/de/Paolo_Uccello



Der verrückte Paolo, wie ihn seine Zeitgenossen nannten, gilt als Vater der perspektivischen Malerei und war besessen von der Geometrie, die sich in den Formen verbirgt. Seine Frau erzählte, dass er unzählige Nächte in seinem Atelier verbrachte und versuchte "die verschwindenden Punkte der Perspektive" festzuhalten. Wenn sie dann versuchte ihn ins Bett zu locken, rief er : "Oh, was für ein wunderschönes Ding ist die Perspektive!"
Vasari schreibt über Paolo Ucello: Einsam, exzentrisch, melancholisch und arm; malt die Felder blau, die Städte rot, die Gebäude in verschiedenen, seiner Fantasie entsprechenden Schattierungen.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Theater ist abergläubig

Immer wieder erschrecke ich junge Schauspieler, indem ich sie unerwarteterweise anranze, wenn sie ihre Stullen, Karotten oder Schokoriegel mal eben so schnell auf der Bühne verspeisen wollen. Sie dürfen nicht pfeifen (außer in 'ner Szene) und Gott verhüte, sie setzen ihren privaten Hut nicht ab, bevor sie die Bretter betreten, ich erweitere das einfach auch auf Mützen. Dass die historischen Gründe für diese Regeln, wie Gaslampen, Theaterratten, etc. schon längst nicht mehr existieren, ist mir egal (Obwohl: Theaterratten? Naja, ein paar habe ich doch getroffen.).
Ich liebe Aberglauben im Theater, all die eigenartigen Rituale, die den eigentlichen Bühnnvorgang umgeben. Um Gottes Willen nicht für ein toi toi toi bedanken, bei dem man natürlich unbedingt über die linke Schulter spucken muss. (Vor meiner ersten kanadische Premiere führte mein inniges Spucken über jugendliche kanadische Schultern zu einiger Verwirrung und dann dazu, dass mir zwei eifrige Schauspielstudenten mitten auf die Brille spuckten.) Generalproben müssen möglichst wackelig ablaufen, sonst wird die Premiere eh nix. Und applaudiert darf zur GP auch nicht werden. Ach ja: wehe mir wünscht jemand viel Glück vor der Vorstellung.
Dazu kommen noch die unzähligen, unerklärbaren Idiosynkrasien (Ein schönes Wort, nicht?), die ein Spieler mehr oder weniger heimlich mit sich herumschleppt. Ich zum Beispiel MUSS vor dem Auftritt circa 5 Kilometer hin- und herlaufen. (Im Garderobengang im Parterre des Deutschen Theaters gibt es so etwas wie eine kleine Laufrinne, die ich persönlich in 15 Jahren Vorauftrittsmärschen dort eingewandert habe.) Bestimmte Vorstellungen brauchen einfach bestimmte Unterwäsche oder den immer gleichen nicht sehr guten Witz des Spielpartners vor dem Auftritt.
Warum das alles? Warum belaste ich die Hirne und das Gewissen unschuldiger junger Spieler mit all diesem Nonsens? Weil es Spass macht! Weil Rituale strukturieren. Weil Zaubertricks, Magie und Unalltäglichkeit einen Raum erschaffen, der besonders ist. Ja, man könnte sagen, ich glaube, all dieses wirre Zeug hilft der Konzentration auf das Eigentliche, das Spiel.
Natürlich sind nicht alle meiner Meinung, siehe folgendes Link.
http://www.flohimohr.de/aberglaube-im-theater/
Ich halte dagegen mit Paulus, dem alten Mistkerl, 1. Korintherbrief 4/10:
"Wir sind alle Narren um Christi willen."
Man muss nur Christ mit Theater auswechseln.
Wir sind Narren um Christi willen (1. Korintherbrief 4, 10)
Das Pauluswort Wir sind Narren um Christi willen (1. Korintherbrief 4, 10)
Das Pauluswort Wir sind Narren um Christi willen (1. Korintherbrief 4, 10)

Für Ö, die ich leiden kann



Sonette aus dem Portugiesischen
 



XIV

If thou must love me, let it be for nought
Except for love's sake only. Do not say
'I love her for her smile---her look---her way
Of speaking gently,---for a trick of thought

That falls in well with mine, and certes brought
A sense of pleasant ease on such a day'---
For these things in themselves, Belovèd, may
Be changed, or change for thee,---and love, so wrought,

May be unwrought so. Neither love me for
Thine own dear pity's wiping my cheeks dry,---
A creature might forget to weep, who bore

Thy comfort long, and lose thy love thereby!
But love me for love's sake, that evermore
Thou mayst love on, through love's eternity. 
  Elizabeth Barret-Browning, 1850



Übersetzung: Rainer Maria Rilke, 1908
 
 


XIV

Wenn du mich lieben mußt, so soll es nur
der Liebe wergen sein. Sag nicht im stillen:
»Ich liebe sie um ihres Lächelns willen,
für ihren Blick, ihr Mildsein, für die Spur,

die ihres Denkens leichter Griff in mir

zurückläßt, solche Tage zu umrändern«. -
Denn diese Dinge wechseln leicht in dir,
Geliebter, wenn sie nicht sich selbst verändern.

Wer also nährt, der weiß auch, wie man trennt.

Leg auch dein Mitleid nicht zu Grund, womit
du meine Wangen trocknest; wer den Schritt

aus deinem Trost heraus nicht tut, verkennt

die Tränen schließlich und verliert mit ihnen
der Liebe Ewigkeit: ihr sollst du dienen.
 



Mittwoch, 26. Januar 2011

Brecht - ein Lied - auch für Bernd Eichinger

LIED DER MÜDEN EMPÖRER

Wer immer seinen Schuh gespart
Dem ward er nie zerfranst.
Und wer nie müd noch traurig ward
Der hat auch nie getanzt.

Und wenn aus Altersschwäche gar
In Staub zerfällt dein Schuh
Der ganz wie du nur für Fußtritte war
War glücklicher doch noch als du.

Wir tanzten nie mit mehr Grazie
Als über d’Gräber noch.
Gott pfeift die schönste Melodie
Stets auf dem letzten Loch.

Dienstag, 25. Januar 2011

Theater-Rätsel

Vier Frauen gehen mit ihren Freunden ins Theater.
Die Frauen heißen: Maria, Anna, Katrin und Claudia.
Die Männer heißen: Mark, Peter, Thomas und Erik.

Im Theater haben sie die folgenden Plätze. Jede Frau sitzt neben ihrem Freund



F27F28
E26E27E28E29


D28D29

Maria sitzt aber auch neben Katrin.
Anna sitzt hinter Maria.
Erik sitzt vor Thomas.
Maria sitzt zwischen Katrin und Peter.
 

Wer ist mit wem befreundet ?

Montag, 24. Januar 2011

Black Swan - Ein Film von Darren Aronofsky


Hm. Wie soll ich das formulieren: ein toll gemachter Film, exzellent gespielt von Natalie Portman, Mila Kunis, Barbara Hershey und Vincent Cassel (nur die Franzosen haben so schöne häßliche Männer, sehr sexy!), die Schockeffekte funktionieren bestens, ich bin mindestens dreimal fast aus dem Sitz gefallen, aber inhaltlich sollte man nicht zu viele Fragen stellen, glaube ich. Hey, this is Holywood!
Aber wenn man die nicht ganz so tiefen tiefenpsychologischen Theorien über die Quellen und Qualen künstlerischen Gestaltens einfach hinnimmt, hat man einen wunderbaren Kino-Abend.

Könnt ihr euch noch an Natalie Portman in "Leon, der Profi" von Luc Besson erinnern? Wow! Jean Reno, auch so ein häßlich schöner Mann, der durch alle Gewaltexzesse zärtlich diesen Blumentopf mit sich herumschleppt? Habe ich wohl viermal gesehen. Und auch, wenn Natalie Portman gerade mal 12 war, als der Film gedreht wurde, hatte man nie das Gefühl, dass sie nicht genau wusste, was sie tat. Ein erstaunlicher Film.


Matthew Bourne hat eine ganz eigene Variante von "Schwanensee" choreographiert, hier die vier kleinen Schwäne.
http://www.youtube.com/watch?v=l8BqSKj1BTM&feature=related
Und das, weil es lustig ist, obwohl Maja Plissetzkaja tanzt.
http://www.youtube.com/watch?v=AdbL1roej9E
Ich weiss zwar, dass der sterbende Schwan nicht aus "Schwanensee" ist, aber trotzdem anschauen.
Anna Pawlova gestorben 1931. Nach ihr wurde auch eine wunderbare Torte benannt, Baiser und Sahne und Erdbeeren, lecker!
http://www.youtube.com/watch?v=ev2gePFcRyM

Sonntag, 23. Januar 2011

Noch ein malender Dichter - Hermann Hesse




Ich bin 18 Jahre alt, 1976, "Du musst 'Steppenwolf' lesen, unbedingt. Ich habe es gehasst, da erklärt mir einer mitten im Roman, was er meint und fürchtet in einem Traktat, schrecklich. "Glasperlenspiel" kopfiger Wulst. Aber dann viel später: "Unterm Rad" und vor allem "Narziss und Goldmund", das letztere in einem kleinen weissen Buch, ich glaube von Suhrkamp, mit zarten Aquarellen von Hesse selbst. Italienische (Schweizer) Landschaften, viele Bäume, Berge und hingestrichen mit Nonchalance und Unangestrengtheit.
Hesse zum Steppenwolf: „[…] es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur Hälfte ein Wolf ist. Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören und so weiter, dadurch entstehen Störungen, und es geht dem Mann nicht gut, bis er entdeckt, dass es zwei Auswege aus seiner Lage gibt, entweder sich aufzuhängen oder aber, sich zum Humor zu bekehren“ (aus einem Brief an Georg Reinhardt, 18. August 1925).

American political comedians


Es ist interessant zu sehen, wie viel wilder, leidenschaftlicher und härter politischer Humor, also das was der Deutsche gern Kabarett nennt, in den USA zuschlägt. Sicher auch weil sich amerikanische Politik noch mehr anbietet, die Betonung liegt auf "noch". Aber auch weil beide Seiten, die Komiker und die Politiker, den Freiheitsgedanken, der tief in die amerikanische Seele eingebettet ist, so sehr ernst nehmen, mit allen dazugehörigen Auswüchsen.
In Zeiten zunehmender Apathie und wachsenden Zynismus' kann das als guter Kopfschubser dienen: Was die haben, werden wir bekommen; Was uns dort schockt, findet hier in aller liberaler Höflichkeit  auch statt.

John Stewart
http://www.thedailyshow.com/
Bill Maher
http://www.billmaher.com/
Steven Colbert
http://www.colbertnation.com/home

und in die entgegengesetzte Richtung: Rush Limbaugh
http://www.rushlimbaugh.com/home/today.guest.html

Samstag, 22. Januar 2011

Else Lasker-Schüler


Im Hamburger Bahnhof ist gestern eine Ausstellung mit den Bildern von Else Lasker-Schüler eröffnet worden. Ich hatte keine Ahnung wie viel sie gezeichnet hat. Lohnt sich anzugucken! Und immer wieder: die Gedichte lesen. Manchmal für Augenblicke, erscheinen sie mir wie Kitsch, doch das Gefühl vergeht wieder.

Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür;
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielen Sternenhände vier
- Die Mondfrau sang im Boote -
Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviatür...
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
- Ich aß vom bitteren Brote -
Mir lebend schon die Himmelstür -
Auch wider dem Verbote.

 
Die Orgie

Der Abend küsste geheimnisvoll
Die knospenden Oleander.
Wir spielten und bauten Tempel Apoll
Und taumelten sehnsuchtsvoll
Ineinander.
Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft
In die schwellenden Wellen der brütenden Luft,
Und Jahrhunderte sanken
Und reckten sich
Und reihten sich wieder golden empor
Zu sternenverschmiedeten Ranken.
Wir spielten mit dem glücklichsten Glück,
Mit den Früchten des Paradiesmai,
Und im wilden Gold Deines wirren Haars
Sang meine tiefe Sehnsucht
Geschrei,
Wie ein schwarzer Urwaldvogel.
Und junge Himmel fielen herab,
Unersehnbare, wildsüsse Düfte;
Wir rissen uns die Hüllen ab
Und schrieen!
Berauscht vom Most der Lüfte.
Ich knüpfte mich an Dein Leben an,
Bis dass es ganz in ihm zerrann,
Und immer wieder Gestalt nahm
Und immer wieder zerrann.
Und unsere Liebe jauchzte Gesang,
Zwei wilde Symphonieen!

Freitag, 21. Januar 2011

Heiner Müller und ich und der Vers


Vor Kurzem hatte ich ein Gespräch über das Versesprechen. Eins dieser Gespräche wo man sich wie ein Dinosaurier fühlt, der verpasst hat, auszusterben und trotzdem weitertrötet und es nicht lassen kann, weil es sich ja um Liebe handelt. Ich liebe Verse, Versmaß ist Rhythmus, ohne Rhythmus keine Musik. Und Versmaß, bei großen Dichtern, ist Haltung, Zielrichtung, Meinung, Witz.


MERKUR:
Ob dies Amphitryons Haus ist? Allerdings,
Halunk, ist dies das Haus Amphitryons,
Das Schloß des ersten Feldherrn der Thebaner.
Doch welch ein Schluß erfolgt? -
SOSIAS:
                                                          Was für ein Schluß?
Daß ich hinein gehn werd. Ich bin sein Diener.
MERKUR:
Sein Die-? 
SOSIAS:
                       Sein Diener.
MERKUR:
                                               Du?
SOSIAS:
                                                          Ich, ja.
MERKUR:
                                                                      Amphitryons Diener?
SOSIAS:
Amphitryons Diener, des Thebanerfeldherrn.
MERKUR:
- Dein Name ist?
SOSIAS:
                                   Sosias.
MERKUR:
                                               So-?
SOSIAS:
                                                          S o s i a s.
MERKUR:
Hör, dir zerschlag ich alle Knochen.

Kleist, Amphitryon Akt 1 Szene 2

Ist das schön, oder was?
(Kleist hatte den "Ruf" für Schwerhörige zu schreiben, wegen der vielen Wiederholungen! Hihi!)

Aber zum eigentlichen Thema: 1988 inszeniert Heiner Müller am Deutschen Theater "Den Lohndrücker", ich bin besetzt, toll, es stellt sich heraus, das beide Frauenrollen nahezu textfrei sind, hmm, ich schlage "Den Horatier" als Zusatzprojekt vor, er wird in die Inszenierung integriert, 200 unterschiedliche Probenvarianten, mit 5 Spielern, mit 7, ganz allein und, letztendlich, mit Ulli Mühe, als Albtraumdialog.
Aber, wie Ionesco sagt, "die Wahrheit liegt zwischendrin". Zwischendrin war Verse-Sprechen-Lernen bei Heiner Müller. Eine Woche, zweimal täglich zwei bis drei Stunden in einem ollen roten Samtsessel sitzen und denken und sprechen und NICHT BETONEN! Ich glaube, ich habe selten in meinem Leben so sehr geschwitzt, regelrecht körperlich geschwitzt. Und diese Woche gehört zu meinen besten, intensivsten Proben-Erinnerungen. 
Danach habe ich begonnen, mich mit Metrik zu beschäftigen. Habe Glück gehabt und Karl Mickel noch kennengelernt, Lyriker und Diktionslehrer an der Ernst-Busch Schule (Gibt es Diktion überhaupt noch als Fach?) und viel Spass gehabt mit Lyrik und Versdramen. Und wenn man es kann, kann man es auch wieder zerkloppen. Wie bei Musik.
Ganz manchmal kann man beim Versesprechen in einen regelrechten Rausch verfallen oder sollte man es Trance nennen? Dann sprechen sie sich scheinbar wie von selbst, ist wahrscheinlich, weil man so tief atmet, dass man in ein Sauerstoff - High gerät.
Ich will mich hier also bei Heiner bedanken, zusätzlich zu vielen anderen Dingen, die ich von ihm gelernt habe, und der Freude an seinen Texten, und der Tatsache, dass man sich mit ihm noch richtig gut Witze erzählen konnte, hat er mir einen bis dahin unbekannten Genuss eröffnet. Danke.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Zu Büchner von Heiner Müller



Heiner Müller    DIE WUNDE WOYZECK (1985)    Für Nelson Mandela
 
Immer noch rasiert Woyzeck seinen Hauptmann, ißt die verordneten Erbsen, quält mit der Dumpfheit seiner Liebe seine Marie, staatgeworden seine Bevölkerung, umstellt von Gespenstern: Der Jäger Runge ist sein blutiger Bruder, proletarisches Werkzeug der Mörder von Rosa Luxemburg; sein Gefängnis heißt Stalingrad, wo die Ermordete ihm in der Maske der Kriemhild entgegen tritt; ihr Denkmal steht auf dem Mamaihügel, ihr deutsches Monument, die Mauer, in Berlin, der Panzerzug der Revolution, zu Politik geronnen. DEN MUND AN DIE SCHULTER DES SCHUTZMANNES GEDRÜCKT, DER LEICHTFÜSSIG IHN DAVONFÜHRT, hat Kafka ihn von der Bühne verschwinden sehn, nach dem Brudermord MIT MÜHE DIE LETZTE ÜBELKEIT VERBEISSEND: Oder als den Patienten, dem der Arzt ins Bett gelegt wird, mit der Wunde offen wie ein Bergwerk, aus der die Würmer züngeln. Goyas Riese war seine erste Erscheinung, der auf den Bergen sitzend die Stunden der Herrschaft zählt, Vater der Guerilla. Auf einem Wandbild in einer Klosterzelle in Parma habe ich seine abgebrochenen Füße gesehn, riesig in einer arkadischen Landschaft. irgendwo schwingt vielleicht auf den Händen sein Körper sich weiter, von Lachen geschüttelt vielleicht, in eine unbekannte Zukunft, die vielleicht seine Kreuzung mit der Maschine ist, im Rausch der Raketen. Noch geht er in Afrika seinen Kreuzweg in die Geschichte, die Zeit arbeitet nicht mehr für ihn, auch sein Hunger ist vielleicht kein revolutionäres Element mehr, seit er mit Bomben gestillt werden kann, während die Tambourmajore der Welt den Planeten verwüsten. Schlachtfeld des Tourismus, Piste für den Ernstfall, kein Blick für das Feuer, daß der Armierungssoldat Franz Johann Christoph Woyzeck beim Steckenschneiden für den Spießrutenlauf um den Himmel bei Darmstadt fahren sah. Ulrike Meinhof, Tochter Preußens und spätgeborene Braut eines andern Findlings der deutschen Literatur, der sich am Wannsee begraben hat, Protagonistin im letzten Drama der bürgerlichen Welt, der bewaffneten WIEDERKEHR DES JUNGEN GENOSSEN AUS DER KALKGRUBE, ist seine Schwester mit dem blutigen Halsband der Marie.
Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibens zu Hause war. Wie harmlos der Pillenknick der neueren Dramatik, Becketts WARTEN AUF GODOT, vor diesem schnellen Gewitter, das mit der Geschwindigkeit einer anderen Zeit kommt, Lenz im Gepäck, den erloschenen Blitz aus Livland, Zeit Georg Heyms im utopielosen Raum unter dem Eis der Havel, Konrad Bayers im ausgeweideten Schädel des Vitus Bering, Rolf Dieter Brinkmanns im Rechtsverkehr vor SHAKESPEARES PUB, wie schamlos die Lüge vom POSTHISTORIE der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte.
DIE WUNDE HEINE beginnt zu vernarben, schief; WOYZECK ist die offene Wunde. Woyzeck lebt, wo der Hund begraben liegt, der Hund heißt Woyzeck. Auf seine Auferstehung warten wir mit Furcht und/oder Hoffnung, daß der Hund als Wolf wiederkehrt. Der Wolf kommt aus dem Süden. Wenn die Sonne im Zenith steht, ist er eins mit unserem Schatten, beginnt, in der Stunde der Weißglut, Geschichte. Nicht eh Geschichte passiert ist, lohnt der gemeinsame Untergang im Frost der Entropie, oder, politisch verkürzt, im Atomblitz, der das Ende der Utopien und der Beginn einer Wirklichkeit jenseits des Menschen sein wird.

Georg Büchner Brief


Warum bekomme ich nicht solche Briefe? Warum? 

An die Braut
[Gießen, nach dem 10. März 1834.]

Hier ist kein Berg, wo die Aussicht frei ist. Hügel hinter Hügel und breite Täler, eine hohe Mittelmäßigkeit in Allem; ich kann mich nicht an diese Natur gewöhnen, und die Stadt ist abscheulich. Bei uns ist Frühling, ich kann deinen Veilchenstrauß immer ersetzen, er ist unsterblich wie der Lama. Lieb Kind, was macht denn die gute Stadt Straßburg? es geht dort allerlei vor, und du sagst kein Wort davon. Je baise les petites mains, en goûtant les souvenirs doux de Strasbourg. -
"Prouve-moi que tu m'aimes encore beaucoup en me donnant bientôt des nouvelles." Und ich ließ dich warten! Schon seit einigen Tagen nehme ich jeden Augenblick die Feder in die Hand, aber es war mir unmöglich, nur ein Wort zu schreiben. Ich studiere die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem Gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, – ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an deine Brust legen! B. wird dich über mein Befinden beruhigt haben, ich schrieb ihm. Ich verwünsche meine Gesundheit. Ich glühte, das Fieber bedeckte mich mit Küssen und umschlang mich wie der Arm der Geliebten. Die Finsternis wogte über mir, mein Herz schwoll in unendlicher Sehnsucht, es drangen Sterne durch das Dunkel, und Hände und Lippen bückten sich nieder. Und jetzt? Und sonst? Ich habe nicht einmal die Wollust des Schmerzes und des Sehnens. Seit ich über die Rheinbrücke ging, bin ich wie in mir vernichtet, ein einzelnes Gefühl taucht nicht in mir auf. Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen. Ostern ist noch mein einziger Trost; ich habe Verwandte bei Landau, ihre Einladung und die Erlaubnis, sie zu besuchen. Ich habe die Reise schon tausendmal gemacht und werde nicht müde. – Du frägst mich: sehnst du dich nach mir? Nennst du's Sehnen, wenn man nur in einem Punkt leben kann und wenn man davon gerissen ist, und dann nur noch das Gefühl seines Elends hat? Gib mir doch Antwort. Sind meine Lippen so kalt? […] – Dieser Brief ist ein Charivari: ich tröste dich mit einem anderen. 

Montag, 17. Januar 2011

Stücke die fast keiner kennt und fast keiner spielt und die trotzdem schön sind

Die goldene Harfe von Gerhart Hauptmann
UA: 15.10.1933, Münchner Kammerspiele München
Rechte bei Felix Bloch Erben
Entweder die einzige Komödie Hauptmanns oder sein Versuch deutsch zu tümeln. Habe beim Lesen  laut gelacht, ein nicht üblicher Akt während man die Stücke dieses Mannes liest.

Der Zwergriese - Hidalla - Sein und Haben von Frank Wedekind
Wow, ein mißgestalteter Mann gründet eine Gesellschaft zur Züchtung von Rassemenschen, scheitert und endet als trauriger Clown im Zirkus.
aus dem ersten Akt:
HETMANN. Schönheit! – Unsere bisherige Moral war auf das menschliche Wohl gerichtet; sie war dazu bestimmt, das Unglück zu bekämpfen und hatte in erster Linie die Unglücklichen ins Auge gefaßt. An dieser Moral wird – auch soweit sie sich an die Opferfreudigkeit der Reichen wendet – kein Wort geändert. Für die Reichen aber habe ich, über die alte Moral hinaus, eine neue geschaffen, deren höchstes Gebot die Schönheit ist.
LAUNHART. Das ist ausgezeichnet! Kamen Sie ganz von selbst auf den rühmlichen Gedanken?
HETMANN. Der Gedanke liegt sehr nahe. Der Durst nach Schönheit ist ein nicht minder göttliches Gesetz in uns als der Trieb zur Bekämpfung der Erdenqual!
BERTA. Schade nur, daß in der ganzen Welt die Erdenqual noch so übergewaltig ist, daß das Vergnügen an der Schönheit ihr gegenüber kaum als Sonnenstäubchen in die Waagschale fällt!
HETMANN. Um Vergnügen, gnädige Frau, ist es uns nicht zu tun! Unsere Moral fordert Opfer, wie sie noch keine forderte. Die allgemeine Moral steht im Dienste des höchsten menschlichen Glückes, der Familie. Dieses höchste menschliche Glück fordern wir von den Mitgliedern unseres Bundes als erstes Opfer!
BERTA. Sie wollen also durchaus noch etwas mehr Unglück in die Welt hineinbringen?
LAUNHART. Ja, ja, schon gut, liebe Berta; laß jetzt den Herrn sprechen! Zu Hetmann. Verzeihen Sie bitte, ich habe Ihre Moral noch nicht vollkommen verstanden.
HETMANN. Wenn die Menschen dazu emporsteigen, die Schönheit höher zu achten als Hab und Gut, als Leib und Leben, dann sind die Menschen der Gottheit um eine Stufe näher, als wenn der Sieg über die Erdenqual ihr höchster Preis ist!
LAUNHART. Das ist selbstverständlich! – Was ich noch fragen wollte – zeichnen sich die Angehörigen Ihres Bundes alle in so hervorragendem Maße durch Schönheit aus wie Sie?
HETMANN. Ich bin natürlich nicht Mitglied des Bundes; ich bin vom Bund nur als Sekretär in Dienst genommen. Die Mitglieder sind ausschließlich Menschen von auffallender, allgemein bewunderter Schönheit.
Textlink:

Arden von Faversham von einem anonymen elisabethanischen Autoren (eventuell Thomas Kyd, vielleicht Shakespeare, obwohl nicht sehr wahrscheinlich?)
Link zum englischen Original:
Es gibt eine grandiose Übersetzung/Fassung von Jörg Laederach, er nennt sie cruel version (grausame Version). Stark gekürzt, fast nur Hauptsätze, eine Groteske. Alle sind böse, alle, herrlich.

Der Lauf der Welt - The way of the world von William Congreve
Eine Übersetzung ist von Wolfgang Hildesheimer, er nennt es eine lieblose Komödie und das trifft es genau. Ich kenne die Version nicht und das Englisch dieser Restaurations - comedy of manners ist sicher schwer übertragbar. Viele Doppeldeutigkeiten, Wortspiele und untergeschobene Bösartigkeiten. Aber wenn es gelänge, müßte es ein beißendes Bild des trendigen Teils unserer Gesellschaft bieten.

Seven Stories - Sieben Geschichten oder Sieben Stockwerke von Morris Panych
Das ist mir in Kanada untergekommen. Ein Mann steht auf dem Sims eines Fensters, um sich in den Tod zu stürzen, die Menschen in den drum herum befindlichen Wohnungen, mit ganz eigenen Problemen, geraten in Gespräche mit ihm. Sehr witzig, tolle Prämisse, schwer zu machen, weil der Mann halt wirklich die ganze Zeit auf dem Sims bleibet und die anderen aus dem Fenster gucken.


Leb wohl, Judas von Ireneusz Iredynski
praktisch alles von Sławomir Mrożek
Methusalem oder Der ewige Bürger von Yvan Goll, das habe ich, verrückterweise auch in Kanada, in einer sehr schönen Studentenproduktion gesehen. Absurd, manisch und sehr berührend.

Diskussion über den "Dokuboom" auf deutschen Bühnen

 Da wurde durch einen Spiegel Artikel ein interessant Diskussion ausgelöst.

http://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=175641485806363&id=1069874200#!/permalink.php?story_fbid=175641485806363&id=1069874200&notif_t=like

Bitte mitmischen!

Samstag, 15. Januar 2011

W.H. Auden zum Zweiten


Musée des Beaux Arts

About suffering they were never wrong,
The Old Masters: how well they understood
Its human position; how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer's horse
Scratches its innocent behind on a tree.
In Breughel's Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the plowman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
Had somewhere to get to and sailed calmly on.  

Copyright © 1976 by Edward Mendelson, William Meredith and Monroe K. Spears,
Executors of the Estate of W. H. Auden.


Das Museum der Schönen Künste

Was das Leiden betraf, lagen sie nie falsch,
Die Alten Meister: wie gut sie seine menschliche 
Wertigkeit verstanden; wie es stattfindet, während
Jemand anderes isst oder ein Fenster öffnet oder einfach so läuft;
Wie, wenn die Greise ehrfürchtig, leidenschaftlich warten,
Auf eine wunderbare Geburt, da immer Kinder
Seien müssen, die sich nicht sonderlich dafür interessieren, Schlittschuh laufen
Auf einem Teich am Rande des Waldes:
Sie vergessen niemals,
Dass sogar das schreckliche Martyrium vorbeigeht;
Auf jeden Fall in einer Ecke, ein unordentlicher Fleck
Wo die Hunde ihr Hundeleben weiterleben und das Pferd des Folterknechts
Sein unschuldiges Hinterteil an einem Baum reibt.
In Breughels Ikarus zum Beispiel, wie leicht sich alles
Von der Katastrophe wegdreht, der Pflüger
Hat vielleicht den Aufprall im Wasser gehört, den verlorenen Schrei
Aber für ihn war es kein wichtiges Missgeschick; die Sonne schien
Auf ihn, wie auf die weißen Beine, die im grünen Wasser 
Verschwinden; und das teure, filigrane Schiff das etwas Erstaunliches
Gesehen haben muss, einen Knaben, der aus dem Himmel fällt,
Hatte einen Ort an den es wollte und segelte ruhig weiter.

(Versuch einer Übertragung von mir)


Freitag, 14. Januar 2011

Wie Kinder schlachten miteinander gespielt haben - Gebrüder Grimm

 

Ich liebe Märchen. Besonders bevor sie geputzt und gereinigt worden sind. Ja, man könnte sagen sie sind gelegentlich grausam und schreckenerregend, amoralisch gar, halt wie auch Kinder manchmal sind, wie Menschen manchmal sind. Hier eins meiner Lieblingsbeispiele, vielleicht noch nix für die ganz Kleinen.

Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben

I

In einer Stadt, Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es geschehen, dass junge Kinder, fünf- und sechsjährige, Mägdlein und Knaben, miteinander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchin sein; und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau einfangen, dass man Würste könne machen. Der Metzger geriet nun verabredetermaßen an das Büblein, das die Sau sollte sein, riss es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf, und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend: er nimmt von Stund an den Metzger mit sich und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über diesen Handel und wussten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie sahen wohl, dass es kindlicherweise geschehen war. Einer unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen schönen roten Apfel in eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken: nehme es den Apfel, so soll' es ledig erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man es töten. Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den Apfel lachend, wird also aller Strafe ledig erkannt.

II

Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun Nachmittag miteinander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: "Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein"; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deswegen dann die Frau so voller Angst ward, dass sie in Verzweifelung geriet, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, dass er kurz darauf gestorben ist.

Mittwoch, 12. Januar 2011

Sulamith - die Friedfertige



Todesfuge.

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne und er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr anderen singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süsser den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith  

Paul Celan (1947) 

Hohelied 7

Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith! kehre wieder, kehre wieder, daß wir dich schauen! Was sehet ihr an Sulamith? Den Reigen zu Mahanaim. Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Deine Lenden stehen gleich aneinander wie zwei Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. Deine zwei Brüste sind wie zwei Rehzwillinge. Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Turm. Deine Augen sind wie die Teiche zu Hesbon am Tor Bathrabbims. Deine Nase ist wie der Turm auf dem Libanon, der gen Damaskus sieht. Dein Haupt steht auf dir wie der Karmel. Das Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden.Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum und deine Brüste gleich den Weintrauben. Ich sprach: Ich muß auf dem Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und deiner Nase Duft wie Äpfel und deinen Gaumen wie guter Wein, der meinem Freunde glatt eingeht und der Schläfer Lippen reden macht. Mein Freund ist mein, und nach mir steht sein Verlangen. Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld hinausgehen und auf den Dörfern bleiben, daß wir früh aufstehen zu den Weinbergen, daß wir sehen, ob der Weinstock sprosse und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen; da will ich dir meine Liebe geben. Die Lilien geben den Geruch, und über unsrer Tür sind allerlei edle Früchte. Mein Freund, ich habe dir beide, heurige und vorjährige, behalten.

 (Luther Bibel 1545)

Sulamith und Maria (Franz Pforr)

Das Prinzip Meese - Maxim Gorki Theater

Während meiner Berliner Zwischenaufenthalte versuche ich jedesmal meinen Berliner Theater - Rückstand wieder in den Griff zu kriegen, dieses Jahr bin ich erstmals wieder länger in Berlin, da geht es leichter. Und ich bemerke, wie ich immer öfter ins Maxim-Gorki Theater drifte. Nicht, das da alles toll und spannend ist, aber meistens sehe ich zumindest einen ernsthaften Versuch von Mitteilung. Sysiphos hat wirklich einen Stein zum Rollen und nicht nur einen aus Pappmaché (oder Pappmaschee, wie man, habe ich gerade gelernt, auch schreiben darf.) und er schwitzt und er scheitert und er schafft es - fast, und manchmal, ist die Sekunde, wo der Stein ganz ruhig, nahezu oben auf dem Berg liegt, sehr heiter.
 
Heute abend also das Prinzip Meese von Oliver Stuck, den ich, muss ich zu meiner Schande gestehen, überhaupt nicht kannte und so bin ich auch nur, durch die Empfehlung einer Freundin ins Studiotheater geraten. Der Regisseur, Antú Romero Nunes, den ich auch nicht kannte und zwei Schauspieler:
Anika Baumann und Michael Klammer. Die Bühne leer, dann Nebel und Off-Text während zwei Techniker viele Matratzen und Bettzeug verteilen, am Ende Nebel und Off-Text und Abbau und dazwischen - ja, was? 

Wörter, viele Wörter, Musik, Nasenpfeifen und zweinasenflügeliges C-Flötenspiel, Matratzen hierhin und dorthin, ein Häuschen wird gebaut und wieder eingerissen, Gesang, noch mehr Wörter, eine geradezu unfassbare Lockerheit und Leichtigkeit und Genauigkeit der beiden Spieler, Pausen, lange Pausen, Publikumskontakt und - involvierung, mehr Wörter, Hilflosigkeit und verbale Kotzkrämpfe, und ganz langsam entsteht das verschwommene, unsichere Bild einer GENERATION. 

Das klingt blöd, Generation X, Generation Y, bla bla. Aber - "Eine Generation ist in der Genealogie die Gesamtheit aller Lebewesen, die zu anderen Lebewesen, in aufsteigender oder absteigender Linie durch Abstammung verbunden sind und im selben Abstand stehen." Und der Abstand ist da und die Wahrheit liegt zwischendrin, wie Ionesco sagt. 

Hier, an diesem Abend, sind es die um die Dreissig, geboren circa 1980. In Deutschland heisst das, irgendwo um das zehnte Lebensjahr, Schnitt! Entweder wird alles und alle anders (Ost) oder es wird versucht, so zu bleiben, wie man war, nur dass da plötzlich ein Extra Bein/Arm/Arsch gewachsen ist (West). Und dann? Milleniumspanik oder -euphorie, das Klima wird Zeitungsthema, Irakkrieg 1 und 2, Afghanistan, Jugoslawien oder besser Serbien, Kroatien, Kosovo-Albanien, Makedonien ..., SPD, CDU, die Grünen vielleicht?, nein, doch lieber die Linke, oder die Republikaner, oder was? Irgendwie geht es besser, nein, schlechter, was soll man studieren und wozu? Der größte Vorwurf den mir meine (Stief) Tochter gemacht hat:" Sei doch nicht immer so tolerant!!!!" Arbeit - gibts nicht, aber ein Praktikum wenn's Recht ist, oder zwei, oder drei, oder jobben, oder ... immer pleite, aber verreisen muß gehen, muß! Jung bzw. jugendlich bleiben, so lange es geht, kann man das bis 40 durchhalten? Gesund leben, vegetarisch essen, Yoga, Ekstasy, Weed, Oxy, Koks, aber bloß nicht rauchen, Hühnerpest, Rinderwahn, Schweinegrippe, Vogelwahnsinn. Sex, Sex, RTL Late Night, Pornowebsites, Liebe, wir sollten doch heiraten, bin ich schwul? metrosexuell? (ich dachte erst, das hätte was mit der U-Bahn zu tun), LGBTQ! impotent? aber es gibt ja Viagra. 
SMS, Twitter, facebook ohne face, myspace ohne space, wozu das Ganze?
AIDS, aber doch heute nicht mehr, da gibt es doch Medikamente. (Einer der schlimmsten Momente meines Lebens war, als ich der oben erwähnten (Stief) Tochter gegenüber, beim Gespräch über den in naher Zukunft anstehenden ersten Sex, die Möglichkeit des Todes erwähnen musste. Mann, hatte ich ein Glück, 1975, Pille kostenlos, Abtreibung erlaubt und ein Tripper behandelbar. Das Ganze war ja trotzdem aufregend und mystisch und herrlich genug.)
Ja, das ist, was mir nach diesem Abend durch den Kopf schießt. Ich habe, erstaunlicherweise, Freunde in diesem Alter, meine Alters-Arroganz hat einen Hieb abgekriegt, Gut so.

„Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“

Sysiphos Ohne Stein